Seit wann kannst Du vom Klettern und Bergsteigen leben – und gab es ein Leben vor dem Klettern?
Seit ungefähr Mitte zwanzig. Meine Eltern haben mich schon früh mit in die Berge genommen, mit elf bis zwölf Jahren habe ich mit meinem Vater schon Klettersteige gemacht. Klettern hat für mich immer Abenteuer bedeutet, hat mich fasziniert. Ich war in Oberau in der Bergwacht, bin im Gebirge groß geworden.
Was haben Deine Eltern dazu gesagt, als Du Dich für eine Laufbahn als Profi-Alpinist entschieden hast?
Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Ich bin gelernter Werkzeugmacher, bin nach der Lehre erstmal in die USA gereist und auch in Yosemite geklettert. Anschließend habe ich ein Jahr bei Marker gearbeitet und bin als freier Handelsvertreter mit den „DoBoyz“ für den Kletterausrüster Wild Country unterwegs gewesen.
Dein Sieg als 22-Jähriger beim ersten Rockmaster in Arco ist legendär – Lynn Hill gewann damals bei den Frauen. Was bedeuten Dir Deine drei Rockmaster-Siege in der Rückschau?
Eigentlich wollte ich da gar nicht hin (lacht). Doch mein Mentor Sepp Gschwendtner (einer der Sportkletter-Pioniere in Deutschland, Anm. d. Autors) sagte: „Schaut’s mal her Burschen, da müsst ihr hin!“ Mein Freund Uli Wiesmeier hat mich schließlich überredet. Es war ein Mords Publikum dort – tausende von Leuten. Koryphäen wie Jacky Godoffe und Roberto Bassi waren am Start. Aber ich kam mit dem Druck gut klar und habe in Folge noch zweimal beim Rockmaster gesiegt.
Ist es für jüngere Kletterer Deiner Meinung nach schwieriger geworden, von ihrem Sport zu leben? Ist die Luft an der Weltspitze dünner geworden als in den Achtzigern?
John Gill (Gill gilt als „Vater des Boulderns, Anm. d. Autors), übrigens ein ehemaliger Turner, hat in den 70er Jahren schon gepredigt, was heute „in“ ist: dynamische Bewegungsabläufe. Allgemein würde ich mir wünschen, dass das Leistungsklettern aus dem Alpenverein ausgegliedert wird. Meiner Meinung nach fördert der Alpenverein Klettern als Leistungssport nicht so, wie es gefördert werden müsste. Es müssten Strukturen geschaffen werden, in denen es jungen Kletterern möglich ist, sich zu hundert Prozent auf ihren Sport zu konzentrieren. Das ist momentan nicht so.
#flugscham ist in aller Munde – seit Jahren setzt Du daher auf #byfairmeans. Fällt es Dir schwer, auf exotische Ziele zu verzichten?
Nein. Ich versuche sie einfach trotzdem zu erreichen, wie man auch bei meinen jüngsten Grönland-Expeditionen sieht! Ich praktiziere „by fair means“-Aktionen im Grunde seit 1993. Damals war ich auf einer Expedition im kanadischen Northwest Territory im Cirque of the Unclimbables und wir nutzten zur Anreise das Boot und nicht den Hubschrauber.
Wie schwierig war es, Deine nachhaltigen Expeditionen 2018 und 2019 per Zug und Segelschiff nach Grönland in den Scoresbysund umzusetzen?
Bei der Expedition auf Skidoos zu verzichten bedeutete beispielsweise, einen zusätzlichen Monat für den Anmarsch einzuplanen. Unser Ansatz war: Wie komme ich aus eigener Kraft vom letzten Zivilisationspunkt zum Ziel? Unsere Intention war es, Bergsteigen und Klettern mit umweltfreundlicher Mobilität zu kombinieren.
Warum habt ihr 2019 statt dem Elektroauto den Zug benutzt?
Weil sich der Einsatz der Elektroautos, die wir von hier in Südbayern bis nach Schottland benutzten, nicht bewährt hat. Es war nerve-wrecking, um es mal so auszudrücken. Bei der zweiten defekten Ladesäule war unser Zeitplan obsolet. Mit dem Zug ging es dann fix, in 24 Stunden waren wir an unserem Zielort in Schottland, wo wir eine Segelyacht bestiegen, die uns nach Grönland brachte.
In Grönland lassen sich die Folgen des Klimawandels besonders gut betrachten. Haben bspw. der Gletscherrückgang und andere Phänomene wie Schmelzwasserflüsse die Durchführung Eurer Expedition beeinträchtigt?
Direkt ist uns nichts aufgefallen, da wir keine Vergleichswerte haben. Unsere Route mussten wir auch nicht ändern. Wir haben allerdings einen Glaziologen getroffen, der das Klima auf Grönland seit 15 Jahren beobachtet. Ehe er allerdings aussagekräftige Daten hat, müssen 25 Jahre ins Land ziehen – so sagte er uns zumindest. Im Vergleich zum Zeitraum zwischen 1997 und 2003 hat sich der Abschmelzprozess nach Auskunft des Wissenschaftlers verdreifacht. Hätten wir auf den Expeditionen unseren Grönland-Experten Thomas Ulrich nicht dabei gehabt, hätten wir es aber vermutlich nicht geschafft. Thomas bringt eine unglaubliche Erfahrung mit und ist ein echtes Mastermind in der Community der Grönland-Durchquerer. Disziplin und die richtige Logistik bedeuten dort alles!
Du hast Red Chili mitgegründet, bist Herausgeber der Zeitschrift Allmountain. Wie ging es bei Red Chili los – hast Du zu Hause Kletterschuhe genäht?
Red Chili habe ich zusammen mit Uwe Hofstädter gegründet. Wir haben damals zunächst versucht, den Vertrieb für La Sportiva zu übernehmen, was nicht klappte. Dann waren wir gemeinsam in Yosemite unterwegs und sagten uns: „Jetzt machen wir es selber!“ 1997 haben wir dann zwei bis drei Paar Kletterschuhe zusammengefrickelt und sind nach Belluno gefahren, einem der Zentren der italienischen Schuhindustrie. Nachdem wir beide Red Hot Chili Peppers-Fans sind, war der Name schnell gefunden. Das Motto lautete schon damals: Only climbers know what climbers need!
Wie gehst Du in beiden Fällen das Thema Nachhaltigkeit an?
Bei Red Chili haben wir versucht, den Produktionsstandort von Fernost nach Europa zu verlegen. Die Qualität war aber nicht zufriedenstellend. Die Chinesen haben einfach ein irres Know-How in der Schuhherstellung.
Du lebst in einer großen Patchworkfamilie, hast Drillinge. Sind Deine Kinder so kletter- und bergbegeistert wie Du?
Das erwarte ich gar nicht. Meine beiden Jungs sind Cutter in Bad Reichenhall und Koch in Innsbruck, meine Tochter, die als Synchronschwimmerin erfolgreich unterwegs war, studiert Hotelmanagement.
Kannst Du uns ein Traumprojekt nennen, das Du in den nächsten Jahren umsetzen willst?
Ich werde bei meiner nächsten Expedition am Fitz Roy in Patagonien unterwegs sein. Außerdem will ich das Thema „by fair means“ weiter spielen, was ja zugegebenermaßen bei so einem Fernziel wie Patagonien nicht möglich ist. Zwar will ich Flugaktivitäten reduzieren, habe aber nun mal einen Beruf, in dem ich das nicht so leicht umsetzen kann. Die Bahn wird in Zukunft aber definitiv eine größere Rolle spielen – ich will zum Beispiel nach China aufbrechen.
Stefan, vielen Dank für das Interview!