Bevor der Beal Escaper, das neue Notfall-Accessoire aus dem Hause Beal, genauer unter die Lupe genommen wird, möchte ich dazu raten, folgende Sicherheitshinweise zu beachten:
- Der Beal Escaper ist ein Produkt für Notfälle in alpinen Routen. Er darf nicht für den regulären Gebrauch beim Abseilen verwendet werden!
- Der Beal Escaper ist auch in Notfällen nicht für jede Abseilstrecke geeignet. Falsche Anwendung kann zu einem Absturz führen!
- Der Beal Escaper ist nur sinnvoll, wenn mit einem Einfachseil geklettert wird!
Grundsätzlich muss die Verwendung des Beal Escapers immer gemäß der Herstellerangaben erfolgen:
2017 hat die Firma Beal die Palette der Notfall-Accessoires beim Alpinklettern durch ein erstaunliches neues Produkt erweitert: den „Escaper“. Wie der Name bereits verrät, handelt es sich hierbei um eine Abseilvorrichtung, mit deren Hilfe man mit einem Einfachseil (nur damit macht der Escaper Sinn) schneller aus der Wand „flüchten“ kann, als es bisher möglich war.
Für gewöhnlich wird beim Abseilen der Seilstrang bis zur Seilmitte durch den Abseilpunkt gefädelt und so am doppelt genommenen Strang abgeseilt. Der Nachteil hierbei: Man hat stets nur die halbe Länge des Seils zur Verfügung und kommt somit z.B. mit einem 70-Meter-Einfachseil maximal 35 Meter hinab.
Bene Hirschmann
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Bei Notfällen, wie z.B. einem plötzlichen Schlechtwettereinbruch, kann das Abseilen mit dieser Technik zu einer langwierigen und kleinschrittigen Angelegenheit werden. In solchen Gefahrensituationen (und auch nur dann!) kann der Escaper Abhilfe schaffen: Er wurde extra für derartige Notfälle konzipiert. Beim Abseilen lässt sich die volle Länge des Einfachseils nutzen und somit die benötigte Zeit zum Abseilen halbieren.
Funktionsweise des Beal Escaper
Anstatt das Einfachseil bis zur Seilmitte durch den Standplatz zu ziehen, wird der Beal Escaper selbst durch den Abseilpunkt gefädelt. Am Escaper kann nun das Seilende eingebunden werden. Das Geniale am Escaper ist, dass es ein spezieller Blockier-Mechanismus mithilfe eines modifizierten Bandklemmknotens ermöglicht, unter stetiger (!) Belastung am einfachen Seilstrang abzuseilen – ohne dass sich der Escaper lösen kann.
Wird der Abseilstrang nach dem Abseilen entlastet, verliert der Bandklemmknoten am Escaper durch einen angebrachten Gummizug seine blockierende Wirkung und das Seil kann durch 10- bis 20-maliges „Ziehen-und-wieder-Loslassen“ (je nach Reibung mehr oder weniger Züge am Seil) aus dem Escaper gelöst werden. Dieser fällt dann – sobald er seine Klemmwirkung vollständig verloren hat – mitsamt dem Seil herab.
Der Escaper ermöglicht also vor allem eine Sache, die bisher nicht möglich war: In Notfällen an einem Einfachseilstrang in voller Länge abzuseilen, ohne dass das Seil direkt in den Abseilpunkt geknotet werden muss und irreversibel fixiert bzw. nach dem Abseilen zurückgelassen werden muss (nähere Infos dazu in der „Schritt-für-Schritt-Anleitung„).
Einsatzbereich – nur für den Einsatz mit Einfachseil geeignet!
Zuerst möchte ich begründen, in welchen Bereichen des Kletterns der Einsatz des Escapers KEINEN Sinn macht:
- Nicht geeignet #1: Alpinklettern mit Doppelseil
Wenn man mit einem Doppelseil (Halbseil bzw. Zwillingsseil) unterwegs ist, kann man die beiden Seilstränge standardmäßig am Abseilpunkt zusammenknüpfen und dadurch die volle Seillänge zum Abseilen ausnutzen. Der positive Effekt des Escapers ist somit nicht nötig und ändert nichts an der Länge der Abseilstrecke. - Nicht geeignet #2: Alpinklettern mit Einfachseil und Materialseil (Halbseil, Zwillingsseil, Edelrid Rapline etc.) in schweren alpinen Sportkletterrouten
Wenn der Schwierigkeitsgrad der Route und die Sicherheit der Linienführung es erlauben (z.B. in „Des Kaisers neue Kleider“ im Wilden Kaiser oder im „Silbergeier“ im Rätikon), verwenden Experten meist ein Einfachseil zum Klettern. Zusätzlich hängt ein zum Abseilen ebenfalls geeignetes Materialseil am Gurt, um einen Rucksack o.ä. nachzuziehen. Analog zur Doppelseilfunktion (siehe Punkt #1) können auch in diesem Szenario beide Seile (Einfachseil und Materialseil) am Abseilpunkt zusammengeknüpft werden. Verwendet man also ein 70-Meter-Einfachseil und ein 70-Meter-Materialseil, kann dadurch sogar eine Abseilstrecke von 70 Metern überwunden werden. Der Escaper ist also auch in diesem Fall obsolet. - Nicht geeignet #3: Sportklettern mit Einfachseil
Dieser Punkt sollte eigentlich selbsterklärend sein: Befindet man sich in einer Einseillängenroute im Klettergarten, ist man stets in Bodennähe und kann einen schnellen Rückzug durch einfaches Ablassen vornehmen. - Nicht geeignet #4: Canyoning
Obwohl Canyoning keinen klassischen Bereich des Kletterns darstellt, möchte ich dennoch vor dem Einsatz des Escapers bei dieser Sportart warnen: Zwar mag es durchaus verlockend erscheinen, den Escaper hier zu verwenden, da man theoretisch mit einem halb so langen (und halb so schweren) Seil auskommen könnte. Da beim Canyoning die Abseilpunkte meist im flachen Gelände platziert sind und über Kanten (Wasserfälle etc.) abgeseilt werden muss, besteht hier allerdings die große Gefahr, dass sich der Escaper durch hohe Seilreibung nicht mehr abziehen lässt. (siehe auch „Gefahren bei der Verwendung des Escapers„).
Der einzige Bereich, bei dem der Escaper einen DEUTLICHEN SICHERHEITSVORTEIL BEI NOTFÄLLEN bietet, ist ein Randbereich des Alpinkletterns:
- Geeignet #1: Alpines Sportklettern mit Einfachseil (z.B. Notfall-Szenario „Gewitter“)
In beliebten alpinen Modegebieten wie z.B. Arco in Italien, in den bayerischen Voralpen oder im Zillertal lassen es objektive Sicherheit und Absicherung zu, ein Einfachseil beim alpinen Sportklettern zu verwenden. Die Abseilstrecken sind dann ebenfalls für Einfachseile eingerichtet. In Notfallsituationen in derartigen Routen entfaltet der Escaper seine Qualitäten: Durch das Abseilen am Einfachseil in voller Länge können viele Abseilstrecken verdoppelt und somit wesentlich schneller überwunden werden. Jedoch ist es hierbei notwendig, die Eignung des Abseilgeländes für einen Einsatz des Escapers kritisch und ernsthaft zu beurteilen.
WICHTIG: Die im nächsten Kapitel angesprochenen Gefahren bei der Verwendung des Escapers müssen also ausgeschlossen werden. Ist dies nicht möglich, sollte der gewöhnliche Abseilprozess am doppelten Einfachseil durchgeführt werden. Ansonsten besteht Absturzgefahr bzw. das Risiko, dass man den Escaper nicht mehr lösen kann und somit in der Wand gefangen ist.
Bene Hirschmann
- Geeignet #2: Abseilen auf Gletschertouren (Notfall-Szenario „Zu kurzes Seil“)
In Rücksprache mit Bergführern und Heeresbergführern konnte ich einen weiteren Einsatzbereich des Beal Escapers herausarbeiten, der nicht auf Anhieb auffällt. Ein Bergführer konnte mir von einigen Gletschertouren berichten, bei denen regulär über Eisstufen abgeseilt werden muss. Infolge des starken Abschmelzens der Gletscher stand er hier häufig vor einem überraschenden Problem: Oft kommt es vor, dass die zu überwindende Abseilstrecke länger geworden ist. Grund hierfür ist, dass der Zielpunkt beim Abseilen über die Eisstufe tiefer wandert, während der Startpunkt in etwa auf gleicher Höhe bleibt. Hatte man bisher für eine 20 Meter lange Abseilstrecke aus Gewichtsgründen nur ein 40-Meter-Einfachseil dabei, sieht man sich plötzlich nicht mehr in der Lage, ganz nach unten zu kommen, da die Eisstufe mittlerweile 30 Meter hoch ist. Dies ist laut den Bergführern, mit denen ich gesprochen habe, keine Seltenheit. Der Escaper kann in einer solchen Situation Abhilfe schaffen, indem man die länger gewordene Abseilstrecke am Einfachseil überwinden kann.
Gefahren bei der Verwendung des Escapers
- Mehrmaliges Unterbrechen des Seilzuges (Last < 10kg)
Dies hat das schrittweise Lösen des Klemmmechanismus zur Folge und kann tödlich enden. Muss man beim Abseilen also mehrmals das Seil entlasten (z.B. um das Seil zu entwirren), ist eine solche Abseilstrecke für den Escaper absolut verboten! Eine Abseilstrecke ohne potentielle Entlastung des Seils (am besten frei hängendes Abseilen) ist für den Escaper unbedingt erforderlich. - Zu viele Kanten bzw. Seilreibung auf der Abseilstrecke: Hieraus können v.a. zwei Gefahren entstehen, und zwar…
- …das Lösen des Klemmmechanismus: Zum einen durch Entlastung des oberen Seilendes, wenn das Seil über so viele Kanten läuft, dass von der Last des Abseilenden nicht mehr genug beim Escaper ankommt. Zum anderen kann bei ruckartigem Abseilen (also schnellem Abseilen und abrupten Abbremsen) das Seil bei viel Seilreibung wieder nach oben schnellen und den Escaper kurzzeitig entlasten.
- …das irreversible Verklemmen des Escapers am Abseilpunkt: Reibung erschwert das Abziehen enorm und macht es z.T. unmöglich, den Klemmmechanismus des Escapers zu lösen. Tritt dieses Szenario ein, sitzt man in der Falle – das Seil kann nicht abgezogen werden und man kommt weder vor noch zurück. Vor allem bei überhängenden oder außerhalb der Kletterroute gelegenen Abseilpassagen kann das Seil dann nicht mehr gerettet werden, außer durch gefährliches Aufprusiken zum evtl. bereits sehr weit gelösten Escaper. Ein Aufprusiken an verklemmten Seilsträngen kommt jedoch definitiv einem „Russischen Roulette“ gleich, da man nicht sicher sein kann, wie weit der Escaper bereits gelöst wurde.
- Hängenbleiben des Escapers (an Felskanten etc.) beim Abziehen
Ein Hängenbleiben des Escapers am Fels beim Herabfallen des Seils (am Gummizug oder den vielen Dyneema-Schlaufen des Klemm-Mechanismus) kann v.a. bei starkem Wind auftreten und führt dazu, dass man in der Falle sitzt und das Seil nicht zurück an den Standplatz bekommt. - Befestigen des Seils am Escaper mit einem Karabiner
Das Seil muss unbedingt direkt in den Escaper eingebunden werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Mikrorisse im Material des Karabiners beim Abziehen (Aufschlagen des Karabiners am Fels) entstehen. Außerdem besteht eine nicht zu unterschätzende Verletzungsgefahr durch den am Seil herabfallenden Karabiner, dessen Wucht nach teilweise über 60 Metern (nahezu) freiem Fall nicht zu unterschätzen ist… - Abseilpunkt aus Gewebe (Seilschlinge etc. als Abseilpunkt)
Manche Abseilstellen bestehen lediglich aus einer Seilschlinge (Sanduhren, Köpfel etc.), durch die der Escaper dann gefädelt werden muss. Dadurch entsteht mehr Reibung beim Abziehen des Escaper-Seilstücks als bei einem glatten Abseilring aus Stahl. Vor allem in Kombination mit ohnehin hoher Seilreibung auf der Abseilstrecke besteht dann ein erhöhtes Risiko, dass sich das Seil am Escaper nicht mehr abziehen lässt.
Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Verwendung des Escapers
1. Provisorisches Befestigen des Escaper-Seilstücks am Standplatz für ein besseres Handling
2. Einbinden des Einfachseils in den Anseilring des Escapers (am besten mit Achterknoten)
Bene Hirschmann
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3. Einlegen des Einfachseils in das Abseilgerät und Installation einer Prusikschlinge am Seilstrang
4. Fädeln des Escaper-Seilstücks durch den Abseilpunkt (von „innen“ nach „außen“ bzw. so, dass der Dyneema©-Bandklemmknoten des Escapers vom Fels weg zeigt und nicht direkt darauf aufliegt)
Bene Hirschmann
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5. Fädeln des Escaper-Seilstücks durch den Dyneema©-Bandklemmknoten des Escapers (aufgenähte Pfeile zur korrekten Richtungsführung beachten)
Bene Hirschmann
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6. Anziehen des Escaper-Seilstücks bis zum Anschlag (die schwarze Markierung am Escaper-Seilstück muss zwingend außerhalb des Dyneema©-Bandklemmknotens liegen!)
Bene Hirschmann
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7. Standschlinge verlängern und Funktionsfähigkeit des Escapers durch Belastung prüfen (bei Bedarf schwarze Markierung am Escaper-Seilstück nochmals nachziehen). Dann Aushängen der Selbstsicherung, während der Escaper unter durchgehender Belastung bleibt
Bene Hirschmann
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8. Abseilen am Einfachstrang unter Beachtung der potentiellen Gefahren (siehe Punkt „Gefahren bei der Verwendung des Escapers„)
Bene Hirschmann
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9. Abziehen des Seils durch mehrmaliges „Ziehen-und-wieder-Loslassen“ am Seil. Wichtig ist hierbei, dass das Seil nach einem Mal Ziehen wieder komplett losgelassen wird. Nur dann löst sich der Klemmmechanismus des Escapers nach ca. 10 bis 20 Mal. Je nach Seilreibung variiert die benötigte Zahl der Wiederholungen des „Ziehen-und-wieder-Loslassens“.
Bene Hirschmann
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Sicherheitsmaßnahmen beim Abseilen mit dem Escaper
Ist der Escaper aufgrund der oben genannten Gefahren für eine Abseilstrecke nicht geeignet, sollte das Abseilen in traditioneller Technik mit doppelt genommenem Seil praktiziert werden! Da man die Verwendung des Escapers nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, empfehlen sich daher folgende Sicherheitsmaßnahmen, noch BEVOR man mit dem Abseilen beginnt bzw. WÄHREND man am Escaper abseilt:
Fazit zum Beal Escaper
Der Beal Escaper ist meiner Meinung nach die genialste Erfindung der letzten Jahre im Bereich des Klettersports. Seine Einsatzmöglichkeiten sind jedoch sehr beschränkt – der Escaper kommt damit i.d.R. auch selten zum Einsatz. Er sollte ausschließlich erfahrenen Alpinisten vorbehalten bleiben, da hier sehr viel falsch gemacht werden kann. Der Escaper verzeiht keine Fehler! Ein Bedienungsfehler kann einen tödlichen Absturz zur Folge haben. Man sollte sich also seiner Sache sicher sein und die beschriebenen Gefahren stets im Kopf haben, wenn man einen Abseilvorgang mit dem Escaper vornimmt.