Atomic hat im alpinen Skisport einen traditionsreichen und guten Namen – ganz besonders in der Rennsport-Sparte. Österreichs Skiheld Hermann Maier und aktuell Marcel Hirscher sind nur zwei prominente Namen, deren Erfolge untrennbar mit dem Unternehmen verbunden sind. Kein Wunder also, dass Atomic Ski und auch Skistiefel auf Skipisten in aller Welt viel und gerne gesehen sind. In den letzten Jahren hat sich Atomic auch abseits, im Freeski-Bereich, eine starke Position erarbeitet und behauptet diese beharrlich. Im Bereich Skitouren lies das Engagement der Österreicher jedoch lange auf sich warten.
Erst auf der ISPO 2013 wagte sich Atomic mit dem Waymaker ins Tourenstiefel-Feld und heimste mit minimalem Gewicht und maximaler Bewegungsfreiheit gleich einen Award ein. Nach nur kurzer Warmlaufphase stiegen die Österreicher mit der Backland-Serie für die Saison 2015/16 noch einmal aufs Gas und agieren nun als Skitouren-Vollausrüster. Dabei sind es vorallem die Tourenskischuhe aus der Backland-Serie, die von sich Reden machen. Bereits bei der Vorstellung auf der Vorjahres-ISPO war klar, dass in Atomics durchdachter Tourenschuh-Technologie keine leeren Worte stecken. Ob sich die Kampfansage bewahrheitet, gilt es nun herauszufinden!
Hard Facts zu den Backland Skitourenstiefeln
Die Backland Tourenschuh-Serie umfasst vier Modelle: Backland, Backland W (Frauenversion), Backland Carbon und Backland Carbon light. Der durch das Wort „Carbon“ markierte Unterschied liegt im Wesentlichen am karbonverstärkten Schaft der High-End-Modelle, der für eine höhere Steifigkeit sorgen soll.
Für meinen Test zur Serie habe ich mir das Modell Backland Carbon geschnappt. Vorweg die grundlegenden Features, die nach Herstellerangabe den entscheidenden Unterschied in der Performance ausmachen:
Aufstieg |
Abfahrt |
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Mein erster Eindruck beim Trocken-Test
Leicht, stabil und sauber verarbeitet liegt der Atomic Backland Carbon in der Hand. Der Verriegelungsmechanismus erinnert an den alten Scarpa F1. Entscheidende Unterschiede sind jedoch Größe, Gewicht und Ausmaße des Hebels, welche beim Freelock 2 System viel geringer ausfallen und somit eigentlich gar nicht stören. Außerdem ist der Hebel federverstärkt und benötigt nur einen kleinen Impuls mit dem Finger, damit er in die Abfahrtsposition springt. Ansonsten wirken die Schnallen und Anbauteile filigran, aber solide. Durch die Crosslace, eine über den Rist verlaufende „Schnürung”, hat der Zweischnaller eine Vorfußabdeckung wie ein Dreischnaller.
Beim ersten Anprobieren im Walkmodus fühlt sich der Atomic Tourenstiefel an, als hätte er gar keinen Schaft. Durch die neuartige Lagerung entsteht bei der Schaftrotation spürbar weniger Reibung zwischen Schaft und Unterschale. Der Widerstand in der Bewegung ist kaum zu spüren und die Rotation wird eher durch die eigene Anatomie als durch die Technik begrenzt. Das Gewicht und die Form gleichen eher einem Lauf- als einem Skitourenschuh. Für diesen Eindruck sorgt auch die integrierte Gamasche, die die Öffnung der Außenschale vom Rist bis zum Schuhrand komplett abdeckt. Der Innenschuh ist dünn, lässt passend zum Gesamtkonzept viel Gefühl zu. Nach Herstellerangabe wurde der Innenschuh wasserdicht, atmungsaktiv und waschbar gestaltet. Die Waschanleitung in der Zunge weist darauf hin.
Weiter im Wohnzimmertest ermöglicht der Innenschuh in Kombination mit der gerockerten (sprich gewölbten) Sohle ein bequemes Gehen, was gesamt schon fast zu gut klingt, um wahr zu sein. Bei ähnlichen Tourenschuh-Modellen leidet durch die Pluspunkte im Aufstieg meist die Abfahrtsperformance.
Bei der Trockenübung, wo sich natürlich zur Steifigkeit kaum brauchbare Aussagen treffen lassen, fühlt sich der voll verriegelte Atomic Backland Carbon zwar immer noch leicht, aber schon überraschend hart und steif an. Es ist fast wie eine Einladung, die Grenzen des Backland Carbon herauszufinden. Mich macht das insgesamt sehr gespannt auf den ersten Praxischeck.
Für einen möglichst umfassenden Test und um den Einsatzbereich des Schuhs eingrenzen zu können, stehen mir vier Skimodelle mit Mittelbreiten zwischen 76 und satten 125 Millimeter zur Verfügung. Damit kann ich das gesamte moderne Tourenspektrum abdecken und dem Atomic Backland Carbon aufs Rückgrat fühlen.
Der Atomic Backland Carbon im Aufstieg
Dem ersten Eindruck ist nach dem ersten Anstieg nicht viel hinzuzufügen. Außer, dass die enorme Schaftrotation – Atomic verspricht 74° – jetzt noch deutlicher wird. Auch bei Geh- und Kletterpassagen mit Steigeisen fühle ich mich weniger auf Ski- als auf leichten Bergschuhen. Der Backland Carbon ist für mich in jedem Fall ein eiskletter- und alpinismustauglicher Skitourenstiefel. Meine anfänglichen Bedenken, die Isolation des Schuhs betreffend wurden auch nicht bestätigt. Die Füße bleiben bei starkem Wind, hohen und niedrigen Temperaturen konstant warm und verhältnismäßig schweißfrei.
Wichtiges Detail am Rande: Ferse und Schnabel fallen beim Atomic Backland recht kurz aus, so dass der Schuh steigeisenkompatibel ist, aber nicht in eine Alpinskibindung passt. Deshalb ist auch die Verwendung mit der Marker Kingpin nicht ohne weiteres möglich.
Der Atomic Backland Carbon in der Abfahrt
Auf geht’s zur großen Unbekannten: das Abfahrtsverhalten des Atomic Backland Carbon. Um die volle Performance auszuschöpfen, sollte man zusätzlich zur Abfahrtsverriegelung und der Klettschnalle die Einlegezunge einschieben. Leider ist der Umbau durch das Einschieben der Zunge und das Wiedereinfädeln der filigranen Schnallen eine kleine Geduldsaufgabe und etwas komplizierter als bei Standardschuhen. Jedoch: Wer die Zunge weglässt, muss zwar mit Steifigkeitseinbußen rechnen, braucht aber lediglich zwei Hebel umlegen und ist abfahrtsbereit.
Auf der Piste wie im Gelände kommt der Backland Carbon auch bei aggressiver Fahrweise gut mit den normalen Tourenskiern im Bereich 76 bis 102 Millimeter zurecht. Bei 108 Millimetern und spätestens bei 125 Millimeter Mittelbreite merkt man dann aber doch, dass der Backland Carbon ein Tourenskischuh ist – der zweifelsfrei einiges drauf – aber irgendwo auch seine Grenzen hat. Die Kraftübertragung fühlt sich bei 125 Millimeter Mittelbreite einfach zu schwammig an, wobei der Karbonschaft die Kräfte wohl noch wegstecken könnte, die Leichtbau-Unterschale aber nicht mehr. In diesem Grenztest fällt auch auf, dass der Schuh eine sehr niedrig gebaut ist. Was bei „normalem“ Einsatz nicht stört, hat bei großen Skibreiten massgeblichen Einfluss auf das Stabilitätsgefühl und die Übertragung von harten Schlägen.
Test-Fazit zum Atomic Backland Carbon
Die „Eierlegende Wollmilchsau“ unter den Skitourenstiefeln gibt es nach wie vor nicht, auch wenn Atomic mit dem Backland Carbon schon echt gut vorgelegt hat. Hinter den etablierten Tourenschuh-Herstellern müssen sich die Österreicher sicherlich nicht verstecken. Prinzipiell erfüllt der Atomic Backland Carbon voll und ganz die Erwartungen eines aufstiegsorientierten Skitourengehers, der sich auch mit modernen, breiteren Skiern ins unerforschte Hinterland wagt und gern mal aufs Gas drückt. Zudem macht der Tourenschuh auch mit Steigeisen eine gute Figur.
Übrigens: Das für mich beste Feature des Backland Carbon geht in den Beschreibungen und Bewertungen ein wenig unter: die Anpassbarkeit der Schale und des Innenschuhs! Die Schale des Tourenstiefels kann im Vorderfußbereich dank „Memory Fit“ mit einer entsprechenden Maschine sechs Millimeter gedehnt werden. In Kombination mit dem flexibel aufbackbaren Innenschuh gibt es somit endlich einen Leichttourenschuh für Leute mit problematischeren bzw. breiteren Füßen!
Alle Daten zum Atomic Backland Carbon auf einen Blick
- 74° Schaftrotation
- 2.322 Gramm Gewicht/Paar
- Free/Lock System 2.0
- Carbon Spine System für mehr Sabilität bei der Abfahrt
- Einschubzunge für mehr Steifigkeit bei der Abfahrt
- Anpassbarer Innenschuh
Der Skitourenstiefel des Testberichts ist ausverkauft. Den aktuellen Atomic Backland Carbon Tourenstiefel gibt es hier: