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"Nachhaltigkeit ist ein Prozess"

8 Fragen an Antje von Dewitz: Die Vaude-Geschäftsführerin im Interview

9 Minuten Lesezeit
Vaude gilt als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Wir haben uns mit Geschäftsführerin Antje von Dewitz getroffen, um mit ihr über nachhaltiges Wirtschaften und die Stellung von Frauen in Unternehmen zu sprechen.

Denkt man in Deutschland an nachhaltige Marken, fällt einem meist sofort Vaude ein. Uns zumindest. Das Unternehmen aus Tettnang gilt seit langem als Pionier in Sachen Nachhaltigkeit. Nicht nur in der Outdoorbranche. Recyclingmaterialien, faire Arbeitsbedingungen sowie Transparenz gegenüber der eigenen Kundschaft gehören für Vaude zur Selbstverständlichkeit. Der Einsatz für das deutsche Lieferkettengesetz und die Verwendung von Siegeln wie der Grüne Knopf sowieso. Aber auch das eigene Wissen weiterzugeben, wie z.B. durch die Academy für nachhaltiges Wirtschaften. Wir haben mit Antje von Dewitz, Geschäftsführerin von Vaude, gesprochen, die das Unternehmen seit 2009 immer weiter nach Kriterien der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit ausrichtet.

Anna: Vaude hat zahlreiche Nachhaltigkeitspreise gewonnen. Seht ihr euch selbst als Vorreiter?

Antje: Ja, absolut. Wir leisten ganz viel Pionierarbeit, beispielsweise was die Forschung und
Entwicklung von Materialien angeht. Wir haben viele Kooperationen mit Unternehmen aus anderen
Industrien, um zum Beispiel die Rücken unserer Fahrradtaschen aus Gelber-Sack-Müll zu fertigen
oder um aus Altreifen funktionelle Hosen herzustellen. Auch beim Thema nachhaltiges Wirtschaften
sehen wir uns als Vorreiter, also bei der Transformation eines ganzen Unternehmens hin zu
ganzheitlicher Verantwortung. Wir haben sogar eine Akademie für nachhaltiges Wirtschaften
gegründet, weil wir in den letzten Jahren sehr viele Anfragen von Universitäten, Unternehmen und
Organisationen bekommen haben, die gern mal reinschnuppern und sehen möchten, wie das bei
uns funktioniert. Deshalb sehen wir uns insgesamt definitiv als Vorreiter.

Musstet Ihr auch Rückschläge einstecken? Also gibt es Ziele, die Ihr Euch gesetzt habt, aber nicht erreichen konntet?

Nein, eigentlich nicht bisher. Nachhaltigkeit ist ein Prozess und in Unternehmen bedeutet es das Management von extremen Zielkonflikten, bei denen es keine schwarzen oder weißen Lösungen gibt, sondern eher viele Grauschattierungen. Es geht um das Ringen um die bestmögliche Lösung. Wenn wir das nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen konnten, dann haben wir es einfach später umgesetzt. Zum Beispiel gab es vor zehn Jahren keine Lösung für PFC-freie Chemikalien. Die konnten wir dann natürlich noch nicht einsetzen, aber wir haben so lange weiter geforscht, bis wir eine Lösung gefunden haben, die wirklich verlässlich wasserdicht oder wasserabweisend ist. Wir haben das Ziel also nicht aufgegeben, sondern mit kleinen Schritten angefangen, bis wir es geschafft haben.

Nachhaltigkeit in der Outdoorbranche

Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren in der Outdoorbranche und allgemein immer größer geworden. Wie viel habt Ihr schon erreicht und was gibt es noch zu tun?

Wir haben vor knapp zehn Jahren Green Shape eingeführt, das ist unser ökologischer Textilstandard für unsere Produkte. Er ist auf dem höchsten Niveau und sammelt andere Ansätze unter sich wie GOTS-zertifizierte Baumwolle und Bluesign-zertifizierte Materialien. In der dritten Version von Green Shape werden auch Kriterien wie Reparierbarkeit, Materialeffizienz und Pflegeleichtigkeit eines Produkts berücksichtigt, wir arbeiten also kontinuierlich daran und schrauben die Kriterien immer höher. Über 90 Prozent unserer Produkt-Kollektionen werden mittlerweile Green Shape-gerecht –  das ist einer unserer größten Erfolge. Dahinter steckt eine gesamte Transformation von unseren Lieferketten: diese sind fairwear-auditiert und tragen die ganzen Zertifizierungen und Auditierungen mit – das ist ein riesiger Meilenstein.

Der Produktionsstandard Green Shape von Vaude im Überblick.

Vaude

Der Produktionsstandard Green Shape von Vaude im Überblick.


Aber es gibt natürlich noch mehr zu tun: Wir befinden uns jetzt auf dem Weg zur globalen Klimaneutralität. Am Standort Tettnang sind wir seit 2012 klimaneutral, inklusive der lokalen Produktion – wir fertigen hier unsere Radtaschen – aber jetzt sind wir dabei, unsere weltweite Produktion klimaneutral zu machen. Ein großer Meilenstein dabei ist, alle Materialien auf bio-basiert oder recycelt umzustellen, weil das deutlich weniger Emissionen freisetzt. Hier haben wir bereits eine Rate von etwa 50 Prozent in der Bekleidung erreicht. Trotzdem liegt noch viel Arbeit vor uns, nicht nur viel Forschungsarbeit, sondern auch viel Überzeugungsarbeit bei unseren Produzenten. Für die bedeutet unser Plan, dass wir ihre Produktion auf erneuerbare Energien umstellen wollen – ein richtig großer Meilenstein. Und parallel arbeiten wir auch viel an neuen Geschäftsmodellen, zum Beispiel mit Verleihware und Upcycling. Auch unsere Nachhaltigkeitsakademie ist ein Teil davon, also neue Geschäftsmodelle, bei denen man vom Ressourcenverbrauch entkoppelt ist. Auch im Standardgeschäft bemühen wir uns natürlich, so wenig Ressourcen wie möglich zu verbrauchen, aber in neuen Geschäftsmodellen wollen wir wegkommen vom üblichen Kreislaufs des Herstellens und Verkaufens, sondern eher Dienstleistungen anbieten. 

Wie siehst Du die Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit auf die gesamte Outdoorbranche bezogen? Ist da in dieser Hinsicht auch schon viel passiert oder ist das bei Euch ein Einzelfall?

Die Produktionsstätte von Vaude in Tettnang, in der hauptsächlich Radtaschen hergestellt werden, ist bereits klimaneutral.

Vaude

Die Produktionsstätte von Vaude in Tettnang, in der hauptsächlich Radtaschen hergestellt werden, ist bereits klimaneutral.


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In der Outdoorbranche insgesamt hat sich viel getan. Einerseits liegt das natürlich am Kunden selbst, denn Menschen, die draußen sind, sind sensibler. Andererseits liegt es aber auch an den NGOs, weil diese in den letzten zehn Jahren wirklich viel auf die Outdoorbranche geschaut haben. Ob das Greenpeace war mit Schadstoffen, Vier Pfoten mit Daunen oder Clean Clothes mit Arbeitsbedingungen, es wurde jeweils ziemlich viel Wirbel veranstaltet und eine hohe Sensibilität und Veränderung in den Punkten geschaffen, die angeprangert wurden. Generell gibt es eine große Bereitschaft bei den Outdoor-Marken, sich zu bewegen und stärker an sich zu arbeiten, auch branchenübergreifend. Gerade in der European Outdoor Group, findet viel Zusammenarbeit statt. Ein großes Projekt ist beispielsweise, dass die Outdoorhersteller gemeinsam dafür sorgen, dass sie die Plastik-Umverpackungen, gemeinsam zu 100% recyceln. In diese Richtung gibt es immer wieder Ansätze, die wir zusammen voranbringen.

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Verantwortung für die Berge und die Natur

Gerade auch während Corona wird immer wieder laut, dass die Berge zu voll sind, dass die sensiblen Ökosysteme unter den vielen Touristen und Bergsportlern leiden. Befeuern wir, also Vaude und Bergzeit, das noch, indem wir den Menschen für den Bergsport ausrüsten und das damit verbundene Lebensgefühl verkaufen?

Frau an Nähmaschine

Vaude

Vaude produziert nicht nur umweltfreundlich, sondern legt auf Wert auf einen umweltfreundlichen Umgang mit den Produkten.


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Ja, ich denke schon. Meine Haltung ist, dass wir Teil eines Problems sind und deshalb auch Teil der Lösung sein müssen. Um die Natur zu schützen und um zu wissen, was es zu bewahren gilt, muss man die Natur erleben. Naturfremde Leute werden nie viel Aufwand für Naturschutz betreiben. Es ist also durchaus ein Teil unserer Mission, die Menschen an die Natur heranzuführen, das ist mir ganz wichtig. Aber ich finde trotzdem, dass wir als Marken, als Bergzeit und Vaude, Verantwortung dafür tragen, einen nachhaltigen und bewussten Umgang mit der Natur vorzuleben. Wir versuchen es über unsere Fotoshootings, da haben wir klare und strenge Richtlinien, die wir auch ins Licht rücken, damit sie sichtbar sind. Damit meine ich unter anderem, auf den Wegen zu bleiben und umweltfreundlich anzureisen, aber natürlich auch kein Heli-Skiing oder ähnliches. Wir haben auch viel auf unserer Webseite über das Thema umweltfreundliches Verhalten. Außerdem sind wir seit 20 Jahren Partner des DAV, der ja auch der größte deutsche Naturschutzverein ist, und sind darüber auch mitbeteiligt an der Vermittlung von naturfreundlichem Umgang. Ich finde es eine wichtige Aufgabe von uns, dafür zu sorgen, dass unsere Produkte auch ordentlich eingesetzt werden.

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Antje von Dewitz ganz privat

Wie wichtig ist Dir das Thema Nachhaltigkeit privat? Worauf achtest Du da und welchen Raum nimmt das Thema da ein?

Einen relativ großen, würde ich behaupten. Ich achte darauf, dass ich so oft wie möglich mit dem Fahrrad zur Arbeit komme, wir beziehen nur Ökostrom und sind eigentlich zu 100 Prozent autark. Unser Haus ist ein Bio-Haus und wir ernähren uns nur nachhaltig, meine Kinder sogar vegan. Das Thema nimmt täglich Raum ein, weil mich meine Kinder schimpfen, wenn ich ab und zu mal Käse esse. Die sind schon sehr streng. Und auch deshalb täglich, weil mein Mann bis heute Fleischesser ist und solche Diskussionen bei uns sehr häufig vorkommen. Die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit nimmt viel Raum ein bei uns, wir versuchen einen guten Weg zu finden zwischen Missionierung und Akzeptanz und tauschen gute Argumente aus.

Herausforderungen als Unternehmerin

Du bist seit 2009 die Geschäftsführerin von Vaude und immer noch eine der wenigen Frauen in der Branche in dieser Position. Vor welchen Herausforderungen hast Du damals gestanden und welchen Ratschlag kannst Du Frauen geben, die einen ähnlichen Weg einschlagen wollen?

Als ich meinen ersten Job bei Vaude hatte, war ich schwanger. Das war schon 1998, da habe ich mich gefragt, wie das funktionieren soll. Wir sind hier mitten auf dem Dorf, vor 21 Jahren gab es gab es hier keine Kita. Ich musste auch feststellen, dass ich innere Glaubenssätze hatte, die mich daran zweifeln lassen haben, ob ich jetzt überhaupt noch weiterarbeiten kann – und das, obwohl ich mich durchaus als Feministin bezeichnen würde. Da musste ich meinen eigenen Weg finden, um es zu vereinbaren, auch wenn die Rahmenbedingungen wirklich schlecht waren.
Mein Rat ist: Schaut Euch gut um – nicht nur in der Partnerwahl, sondern auch in der Wahl des Unternehmens, damit Ihr das, was Euch wichtig ist, auch leben könnt. Ich finde, es ist gut, wenn man für sich selbst reflektiert hat, was einem wichtig im Leben ist und was die eigenen Werte sind, bevor man ins Berufsleben einsteigt. Dann kann man sich wirklich gut umschauen bei den Unternehmen, denn als Berufseinsteigerin verändert man noch kein Unternehmen. Die Gefahr ist groß, dass man in ein System gesogen wird, in dem man das Gefühl hat, sich anpassen zu müssen. Ich finde aber, dass es eine große Chance für die Wirtschaft ist, dass mehr Frauen in Unternehmen und Verantwortungspositionen kommen, ihre Werte und ihre Erfahrungen mit einbringen und die Unternehmen dadurch verändern. Aber dafür ist es wichtig, beim Start ein Unternehmen zu finden, welches diese Werte schon vorlebt.

Der Firmenhauptsitz von Vaude in Tettnang.

Vaude

Der Firmenhauptsitz von Vaude in Tettnang.


Wie viel von der Geschäftsfrau Antje von Dewitz steckt in der privaten Antje?

Ich würde sagen, wir sind ziemlich deckungsgleich. Also da gibt es keine große Veränderung – Gott sei Dank! Am Anfang dachte ich, dass ich etwas erfüllen muss und habe meinen Vater kopiert in der Führung, bis ich festgestellt habe, dass das gar nicht zu mir passt. Seitdem bin ich sehr deckungsgleich und das gibt mir viel Kraft – ich glaube, dass es sehr kräfteraubend ist, sich immer verstellen zu müssen und nicht man selbst sein zu können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Video: Antje von Dewitz über nachhaltige Produktion bei Vaude

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