Amerika – das Land steht wohl auf der Wunsch-Urlaubsliste vieler Kletterer – so auch auf meiner. 2016 war es dann soweit. Zusammen mit Paul plante ich einen Kletter-Roadtrip von Kalifornien über Nevada bis nach Utah. Mit dem Hintergedanken, genügend Risskletter-Skills zu sammeln für spätere Besuche in Yosemite, waren wir hoch motiviert, uns in den neuen Kletterstil hineinzuarbeiten.
1. Stopp: Joshua Tree/Kalifornien
Unser erstes Ziel ist der „Hidden Valley Campground“ im Nationalpark „Joshua Tree“. Insgesamt dauert die Anreise von der Haustür bis zum Campingplatz 30 Stunden. So stellen wir ziemlich ermüdet (aber glücklich) unser Mietauto auf dem nächstbesten Parkplatz ab und trinken unser wohlverdientes Feierabendbier.
Der erste Kontakt mit einem Kletterer lässt nicht lange auf sich warten – wir hatten uns wohl auf einen bereits für ihn reservierten Parkplatz gestellt. Doch das Gespräch dreht sich schnell. Schon kurze Zeit später geht es nicht mehr um den Parkplatz, sondern um Empfehlungen zu Klettertouren. So haben wir schon am ersten Tag eine To-Do-Liste. Besser kann es nicht laufen.
Foto-Touristen halten sich in Joshua Tree nicht lange auf. Dafür gibt es zu wenig Attraktionen. Für Boulderer und Tradkletterer hingegen ist es ein Paradies. Schließlich warten verschiedenste Felsstrukturen direkt am Campingplatz oder in der unmittelbaren Umgebung.
In Joshua Tree hat sich auch eine besondere Szene entwickelt. Viele Leute kommen jedes Jahr, bleiben so lang es geht und manche verlassen das Gebiet nie so wirklich. Dann klettern sie Risse ohne Seil, nur ausgestattet mit einer Musikbox und Turnschuhen. Anschließend treffen sich alle auf ein gemeinsames Bier in einer Höhle namens „Space Station“ und genießen den Sonnenuntergang.
Hier ist also der perfekte Ort für unseren Riss-Intensivkurs. Obwohl der Fels scharf ist, haben wir uns recht schnell eingeklettert. So wagen wir uns schnell an die harten Sachen – und hier kommt unser Campingnachbar Dave wieder ins Spiel …
Das Offwidth-Projekt
Dave verbringt viel Zeit damit, in Josua Tree zu klettern und ist daher ein absoluter „local hero“. Eines abends erzählt uns von einen Offwidth-Projekt, total verrückt mit „invert chimney“ also einem Kamin, den man Überkopf klettert. Das können wir uns natürlich nicht entgehen lassen.
Bereits am nächsten Tag kommen wir, nach einem viel zu langen Weg durch die erbarmungslos heiße Sonne der Wüste, zu einem kleinen, unbekannten Kletterspot, der vor allem eins war: schattig.
Paul sicherte Dave, als der einen ersten Versuch im orangefarbenen, perfekten Riss macht. Es ist unglaublich zu sehen, wie er sich nach einer gefühlten Unendlichkeit sich aus einer kaum körperbreiten Felsspalte kopfüber herausquetscht. So etwas hatten wir noch nicht gesehen. An diesem Tag schafft Dave die Tour leider nicht, aber wir hatten eine Menge Spaß – und am Ende des Tages stecken wir natürlich selber kopfüber in diesem Kamin – und stellten uns gar nicht so blöd an.
Wir verstanden uns prächtig und am nächsten Tag ziehen wir gleich wieder gemeinsam los. Diesmal zeigten wir Dave, was unser Element ist – und pressen eine anliegende, boulderlastige, mit Tour mit scharfen Leisten im Schwierigkeitsgrad 5.13 (8a) weg. Für ihn ist das gleich beeindruckend wie seine „offwidth action“ für uns.
- Lesetipp: Schwierigkeitsgrade beim Klettern
Nach einigen Versuchen schafft Dave dann auch sein Projekt. Es bekommt den Namen „Poppycock“. Das feiern wir am Abend beim Grillen entsprechend.
Infos zum Klettern in Joshua Tree
Der Joshua Tree ist weltbekannt für tausende an Routen und Boulderproblemen direkt im und um den Campingplatz. Neben den Rissen bietet die Kletterei am scharfen Granit oftmals noch andere mögliche Griffe und ist damit dankbar zum Eingewöhnen. Auch wenn die Menschen im Joshua Tree alle ein wenig verrückt sind, sind sie dabei auch wahnsinnig nett. So hat sich eine Szene entwickelt, wie es sie sonst wohl nirgends gibt.
- Gesteinsart: Granit
- Charakteristik: Tradklettern, Bouldern
- Unterkunft: Hidden Valley Campground
- Beste Jahreszeit: Frühling, Herbst, Winter
- Empfohlene Route: „Space Station“
2. Stopp: Klettern in den Red Rocks/Nevada
Anschließend brechen wir auf in Richtung Red Rocks in Nevada. Auf die Weiterreise hat uns Dave bestens vorbereitet. Denn ab sofort begleitetet uns seine Countrymusik-Sammlung. Aber vor allen Dingen sind wir total motiviert auf mehr Offwidth-Kletterei, was uns zu ungeahnten Routen verhilft.
In den Red Rocks habe ich dann meinen ersten Kontakt mit Sandstein – und es fühlt sich sehr gut an. Mehr noch, es machte richtig Spaß, an einem so feinen Fels mit so guter Reibung zu klettern. Vor allem wenn ein Riss die die einzigen Griffe und Tritte bietet.
Nach ein paar kürzeren Mehrseillängenrouten suchen wir uns eine interessantere Tour aus: Die 2.000 Fuß (600 Meter) hohe Wand besteht zur Hälfte, also 6 Seillängen, aus Kaminen. Genau das Richtige für uns, denken wir uns. Und wir haben uns nicht zu viel versprochen …
Bouldern statt Mehrseillänge
Schon am Abstieg bahnt sich ein Sturm an, der zum Glück erst richtig losbricht, sobald wir am Auto sind. Deshalb müssen wir am Campingplatz zuerst das Geschirr wieder einsammeln, das Zelt vor dem Wind retten und alles ins Auto stopfen. Bei so einem Wetter haben es Camper halt nicht immer leicht. Immerhin bietet sich jetzt die Möglichkeit, nach Las Vegas zu fahren. Besser kann man einen Sturm nicht abwarten.
Den letzten Tag in den Red Rocks wollten wir noch eine beliebte Mehrseillängenroute auf einen markanten Pfeiler klettern. Das scheitert leider an den langsamen Seilschaften vor uns. Also planen wir nach einem Schläfchen in der Sonne um – und gehen lieber ein bisschen Bouldern. Ohne Crashpads ziehen wir also ins nahegelegene Bouldergebiet los, finden aber sofort Anschluss und haben einen richtig guten Abschlusstag in den Red Rocks beim Bouldern.
Fakten zum Klettergebiet Red Rocks
Neben dem Bouldern und Tradklettern lohnt sich in den Red Rocks insbesondere das Mehrseillängen-Klettern. An den bis zu 600 Meter hohen Wänden gibt es Verschneidungs-, Kamin- und Wandkletterei der allerfeinsten Art.
- Gesteinsart: Sandstein
- Charakteristik: Sport-/Tradklettern, Bouldern, Mehrseillängenklettern
- Unterkunft: BLM 13 Mile Campground
- Beste Jahreszeit: Frühling, Herbst
- Empfohlene Route: „Epinephrine“ an der 600 Meter hohen „Black Velvet Wall“
3. Stopp: Klettern in Indian Creek/Utah
Indian Creek, ein riesiges Tal geprägt von rubinfarbenen Sandsteinfelsen, ist das unbestrittene Riss-Mekka der Welt. Das ist eine mutige Aussage. Aber jeder Kletterer, der einmal dort war, kann das bestätigen. Diese beeindruckende Schlucht, östlich des Canyonlands Nationalparks, ist bekannt für seine parallel liegenden Risse und die riesigen Racks von Cams, die zur Absicherung erforderlich sind.
Kletterer, die hier erfolgreich sein wollen, brauchen eine gute Ausrüstung, Ausdauer, eine hohe Schmerzschwelle und eine gesunde Dosis Durchhaltevermögen. Wir waren bereit …
Die nächsten zwei Wochen verbringen wir auf dem „Superbowl“-Campground. Von hier aus steuern wir immer wieder zu einem anderen Teil der kilometerlangen Wand, die eine schier unerschöpfliche Anzahl an Touren bereithält. Um möglichst viel Verschiedenes zu klettern, rufen wir Motto-Tage aus. So gab es schließlich den Fingerday (Fingerriß), den Handjam-Day (Handriss) und den sehr beliebten Offwidth-Day (Körperriß). Danach kommt ein Ruhetag und das ganze geht wieder von vorne los.
Bis zum Schwierigkeitsgrad 5.13 sammeln wir jede Menge Rissklettermeter. Man muss allerdings dazusagen, dass der klassisch europäische „layback“, also das Piazen, mir oft über die ein oder andere Risspassage geholfen hat.
Abstecher nach Moab
Schon im Jahr zuvor hatte ich in Madagaskar ein nettes Paar aus Colorado kennengelernt. Natürlich müssen wir uns treffen, wenn wir schon mal da waren. So verbringen wir, auch wenn wir uns nach drei Wochen Camping sehr gut an den „dirty lifestyle“ gewohnt hatten, drei Tage zusammen in einem prächtigen Haus in Moab. Man kann sich vorstellen, wie angenehm eine Dusche, ein Essen im Warmen ohne fünf Jacken und ein kuschliges Bett sind.
Als krönenden Abschluss klettern wir in der Gegend um Moab noch einige „dessert towers“. Und jeder einzelne legte die Messlatte des coolsten Gipfels noch ein wenig höher und höher. Diese Wüstentürme machen unbeschreiblich viel Spaß und sind definitiv eine Sache, die ich nur jedem Kletterer empfehle. Meinen „favorite summit“ der Zeit in Indian Creek steht bei den Fisher Towers. Den Felsen kann man eigentlich nicht als Felsen bezeichnen, es ist im Grunde nicht mehr als ein fester Sandhaufen, der sich irgendwie zusammenhält. Dieser Turm ist sehr bekannt, der „Stolen Chimney“, mit einem Gipfelplateau von 30 mal 30 Zentimetern.
Infos zum Klettergebiet Indian Creek
Der Indian Creek ist das Nonplusultra der Tradkletter-Gebiete. Der Indian Creek ist ein mehrere Kilometer langer Felsriegel, der unzählbar viele Routen umfasst. Hier kann man sich in jeder Rissgröße austoben. Wichtig ist, genügend Cams mitzunehmen und für die Motivation ausreichend Nachschub zu besorgen: Donuts, Schokokuchen, Cookies, Energieriegel etc.
- Gesteinsart: Sandstein
- Charakteristik: Tradklettern,
- Unterkunft: Super Bowl Camping
- Beste Jahreszeit: Frühling, Herbst
- Empfohlene Routen: Supercrack, 5.10 ; The Incredible Hand Crack, 5.10; Scarface, 5.11-; Big Guy; 5.11-; The Big Baby, 5.11; etc. …
Zurück in die Zivilisation
Von 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche purer Natur kommen wir zurück nach Los Angeles.
Dort müssen wir uns erstmal wieder an die Stadt gewöhnen. Wir entdecken noch immer mögliche Kamine und Risslinien. Und so können wir es uns nicht verkneifen, uns zumindest die ersten paar Meter der Hochhäuser hochzustemmen oder den einen oder anderen Faustklemmer auszuprobieren.
Am Huntington Beach beim Wellen- und Sonnenbaden gibt’s für uns einen perfekten Abschluss unserer Reise.
Das Resumé: Wir haben beim Klettern in Amerika so viele nette Leute kennengelernt, die uns alle so geholfen haben. Wir haben abgefahrene Abenteuer erlebt. Wie so oft: Auf Reisen lernt man die Welt, die Menschen und sich selbst am besten kennen.
Video: Kletterroadrip Amerika (Joshua Tree, Red Rocks und Indian Creek)
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