Alle Achttausender ohne Sauerstoff, mit dem Wingsuit durch eine zwei Meter breite Felsspalte bergab rauschen oder gar aus der Stratosphäre springen – was treibt Menschen an, die so etwas tun? Sind sie einfach nur wahnsinnig? Größenwahnsinnig gar? Oder brauchen sie im Gegenteil furchtbar viel Aufmerksamkeit für ein kränkelndes Ego?
Johanathan Francis, Unsplash
Adrenalinkick ja, aber geplant
So pauschal beantworten lässt es sich wohl nicht. Neue Untersuchungen der Universität Innsbruck zeigen, dass es den „typischen“ Extremsportler so nicht gibt. Natürlich spielt der Adrenalinkick als Motivator eine große Rolle. Überrascht hat die Forscher jedoch, dass Extremsportler mit sehr viel Kalkül und Planung an ihre Unternehmung herangehen – viele sind regelrechte Perfektionisten. Sie unterschätzen das Risiko keinesfalls, sie versuchen, es zu beherrschen.
Mit wachsendem Können wächst zwar für uns betrachtet der Waghalsigkeitsfaktor. Für den Athleten jedoch wird das Risiko nicht unbedingt größer. So hat beispielsweise der Wingsuit-Flieger Kyle Lobpries für seinen Weltrekord, den längsten horizontalen Flug, mehrere Jahre trainiert und beschäftigt sich als ehemaliger Marinepilot schon fast sein ganzes Leben mit dem Fliegen. Und Extremkletterer Alex Honnold bereitete sich auf die Free Solo Begehung der „Freerider“ am Capitan akribisch vor. In seinem Handy und auf Listen hatte er hunderte von Kletterzügen notiert und ging sie immer und immer wieder im Kopf durch.
Bitte nicht nachmachen
Bei so viel Aufmerksamkeit durch soziale Medien und Sponsoren: Werden da weniger Geübte nicht automatisch zum Nachahmen motiviert? Auszuschließen ist das nicht. Doch auch vor Social Media und YouTube gab es Menschen, die extrem oder hochriskant unterwegs waren und nicht jeder fühlte sich deshalb berufen, es ihnen gleich zu tun. Schon unseren Kindern bringen wir bei, nicht alles nachzumachen, was die anderen Kinder tun. Für den Extremsport gilt das natürlich erst recht. Selbsteinschätzung wird zu einem immer wichtigeren Gut, gerade im Zeitalter des „Höher, schneller, weiter“.
Ich denke, dass wir Redakteure auch weiterhin über diese Art der Unternehmungen berichten dürfen. Mehr noch: Ich gebe sogar zu, mir ab und an sehr gerne einen Kletter- oder Freeridefilm anzusehen. Gleichzeitig betrachte ich es aber auch als Aufgabe der Medien, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Unternehmungen in den Bergen immer ein gewissen Unwägbarkeitsfaktor mit sich bringen. Und dass es letztlich der Eigenverantwortung eines jeden einzelnen obliegt, einzuschätzen, was er oder sie am Berg leisten kann.
Berghaus
Was ist Dein „Höher, schneller, weiter“ Erlebnis?
Übrigens: Ich bin auch mal mit einem Kletterseil von einer vierzig Meter hohen Brücke gesprungen, natürlich angeleitet durch ein Team von Leuten, die wussten, was sie tun. Den Red Bull Sponsoringvertrag kriege ich dafür wohl eher nicht. Aber ich war den ganzen restlichen Tag wie high, Endorphinen sei Dank. Und das lässt mich zumindest ein bisschen nachvollziehen, warum manche Menschen immer wieder über ihre Grenzen hinausgehen wollen. Ein bisschen „Höher, schneller, weiter“ liegt wohl in jedermanns Natur. Auch wenn mir persönlich dieser eine Sprung gereicht hat.