Es ist Fluch und Segen in einem. Outdoor boomt, Wandern erlebt nie geahnte Höhenflüge. Mit der neuen Beliebtheit steigt die Anzahl der Leute, die sich in der Natur tummeln, logisch. Soweit so gut.
Neu entdeckte Naturliebe gipfelt jedoch mancherorts in grotesken Situationen. Outdoorliebe und Overtourism geben sich die Hand. Liebe zur Natur will gelernt sein. Zeit, eine große Schublade mit Vorurteilen und einem guten Schuss Ironie aufzumachen – bei der Suche nach Ruhe & Frieden in der Natur.
Die Liebe zur Natur will gelernt sein.
Hinter mir ein rutschendes Geräusch. Bremsen quietschen. Ich springe an die Seite, fast stürze ich den Hang hinunter. Schimpfend rast ein Biker an mir vorbei, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Er kommt nicht weit, denn vor mir sind weitere Wanderer einzeln oder als Gruppe unterwegs. Undefinierbare Laute folgen seinem Slalom entlang einer Kolonne Outdoorfans, die einer Schlange gleich gen Berghütte zieht.
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Als ob es noch einer Steigerung bedarf, kommt uns eine kleine Gruppe Trailrunner entgegengelaufen. Eine Kollision mit dem Biker scheint unausweichlich. Es folgt ein verbaler Schlagabtausch darüber, wer wen zuerst vorbeilassen sollte und führt letztlich zu einem totalen Stillstand auf dem Trail. Nichts geht mehr. Stau im Wald, Geschubse, großes Gemurre und Aneinandervorbeigeschiebe.
Erst nach und nach löst sich das Knäuel an Menschen auf. Jeder zieht murrend seines Weges. Kein Wunder, dass alle unzufrieden sind, so voll wie es hier ist.
Keine Zeit für eine entspannte Pause in der Natur
Nach einer weiteren Wegstunde öffnet sich die Landschaft. Berggipfel kommen in Sicht. Zunächst die Aussicht genießen, denke ich gerade noch so, als aus der Ferne etwas in hoher Geschwindigkeit auf mich zugerast kommt. Was ist das nun wieder?
Es klingt wie ein Düsenjet, aber so klein? Ich schmeiße mich auf den Boden. Über mir donnert ein Wingsuiter Richtung Tal. Wow, ziemlich laut die Dinger, denke ich und atme durch.
Jetzt ist aber Zeit für eine Pause. Die Umgebung der Berghütte gleicht einem Rummelplatz. Sportler aller Outdoorgattungen tummeln sich zur Brotzeit an diesem Platz mit Panoramablick. Musik ballert aus den Lautsprechern, manch einer videofoniert via FaceTime mit den Liebsten daheim. Klar, die sollen ja wissen, wie’s in den Bergen aussieht.
Auf exponierten Felsen, am Rande eines Abgrundes schnell noch ein Selfie. Pause fertig los, weiter geht’s zurück ins Tal. Müll mitnehmen? Ach egal…
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Als ich am Abend auf dem komplett überfüllten Zeltplatz in meinen Schlafsack schlüpfe, bin ich verzweifelt. Ich will jetzt einfach den Bergzeit Podcast hören und schlafen. Morgen wird alles gut. Ganz sicher.
Wissen Vanbesitzer, dass Schiebetüren auch leise benutzt werden können?
Also, Kopfhörer auf, los geht’s. Und los geht’s tatsächlich: Ob Vanbesitzern jemals gesagt worden ist, dass Schiebetüren auch leise benutzt werden können? Auf, zu, schieb, schieb, RUMMS! Schön hier, hach, diese Ruhe. DIESE RUHE.
Was ich wohl morgen unternehmen werde? Noch eine Wandertour? Vielleicht sollte ich einfach früher nach Hause fahren, um den Stau der Heimreisenden zu umgehen. Am Abend dann Netflix an und ne Reisedoku gucken. Oder ich mache einfach mal nix. Auf jeden Fall nichts in der Natur, viel zu stressig.
Humorvolle Grüße aus dem Herbstwald,
Euer Ralf