Die wärmende Sonne scheint mir ins Gesicht und der Ausblick ist einfach atemberaubend: Bei dem Kaiserwetter sind selbst Großglockner und Venediger scharf zu erkennen, wie wenn sie zum Greifen nah wären. Eine Biene summt um meinen Kopf…ssssSSSSS….
ZZZZ-ZZZZ-ZZZZ: Jäh reißt es mich aus dem Bett. Der Wecker klingelt erbarmungslos und löscht den wunderbaren Ausblick unwiederbringlich aus meiner Gedankenwelt. Doch was nicht (mehr) ist, kann ja noch werden!
Eigentlich stehe ich am Wochenende nicht freiwillig um halb fünf auf, aber für eine kernige Bergtour tut man doch alles, oder?
Der Plan: Isidor Klettersteig auf den Grünstein
Ein Blick auf die Wetterapp zeigt für Nachmittags zwar eine Regenwahrscheinlichkeit von 60 Prozent, das ist aber noch lange kein Grund zuhause zu bleiben. Zur Not kann ja die Hardshell-Jacke beweisen, was sie so drauf hat. Nur leider ist für das zusätzliche Teil keine Platz mehr im Rucksack. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als nochmal umzupacken.
Mit reichlich Verspätung mache ich mich endlich auf den Weg, um meine beiden Mitstreiter einzusammeln. Unterwegs reibe ich mir ungläubig die müden Augen. Wo kommen denn die ganzen Autos her?
Haben heute alle dieselbe Idee und wollen ins Berchtesgadener Land?
Meine Freunde haben sich von der etwas längeren Wartezeit ihre Vorfreude zum Glück nicht vermiesen lassen. Doch kaum ist die Autobahn erreicht, erschleicht mich ein ungutes Gefühl: Mein Klettersteig-Helm! Hat er beim Umpacken den Weg in den größeren Rucksack gefunden? Die Mitfahrerin auf der Rückbank sieht nach und bestätigt meine Befürchtung: Er fehlt – da hilft nur umkehren.
Erste Zweifel auf der Autobahn
Lohnt sich die Fahrt jetzt überhaupt noch? Auch auf dem Rückweg herrscht zäh fließender Verkehr, der meine Zweifel an der geplanten Unternehmung schürt. Genervt von der eigenen Vergesslichkeit trete ich ins Gaspedal und blicke ins rote Aufblitzen der Radarfalle.
Dreieinhalb Stunden nach dem Aufstehen, scheint sich das Schicksal aber doch endlich zum Guten zu wenden. Denn gleich nach der Einfahrt zum Königssee Parkplatz wird gerade ein Stellplatz frei. Die ersten begeben sich wohl schon wieder auf den Heimweg. Aber gut, dann ist vielleicht am Berg auch schon weniger los.
Martin Bachmeier
Die Ernüchterung trifft mich jedoch am Einstieg zum Grünstein-Klettersteig: Ewige Warteschlange. Im Steig reihen sich die Aspiranten wie eine Perlenkette aneinander. Man ist eben nicht alleine in den Bergen unterwegs, auch wenn man sie hier zu finden hofft – die Einsamkeit.
Endlich im Steig schlängelt sich die Kolonne langsam am Stahlseil entlang. Das Pärchen vor mir hat etwas Probleme mit dem ausgesetzten Gelände. Ich konzentriere mich darauf, im Gedränge trotzdem den üblichen Sicherheitsabstand einzuhalten, um die ohnehin gestressten Voraussteigenden nicht noch mehr unter Druck zu setzen.
Wie ein Faultier hangle ich mich in Zeitlupe am Stahlseil entlang.
Die nachfolgende Gruppe wird schon ungeduldig und hängt meinen Begleitern dicht an den Hacken. Spannung liegt in der Luft: Irgendwie haben sich das alle hier etwas entspannter vorgestellt. Doch jetzt sind wir hier schon mal draußen in der Natur und müssen es auch genießen!
Gerade als ich demonstrativ etwas durchschnaufen möchte, rauscht ein kleiner Stein knapp an meinem Helm vorbei – da hat sich das Zurückfahren wenigstens ausgezahlt! Jetzt nur die Ruhe bewahren, Steinschlag kann eben bei jedem Klettersteig mal vorkommen.
Eskalation, ohne Rücksicht auf Verluste
Doch bei einem nachfolgenden Klettersteiggeher trifft das winzige Geschoss auf weniger Gelassenheit – ganz im Gegenteil! Er fühlt sein Leben plötzlich akut bedroht und kennt nur noch die Flucht nach vorne:
Mit eich is‘ ja lebensgefährlich hier, lasst‘s mi sofort vorbei!
Aufgebrachter Klettersteiggeher
Schnaubend und schimpfend prescht der Aufgebrachte an den ersten Leuten vorbei. Das dabei nicht immer mindestens einer seiner Karabiner am Stahlseil bleibt, scheint ihn weniger zu stören…
Nach einiger Zeit beruhigen sich die erhitzten Gemüter und ich konzentriere mich wieder auf das Hier und Jetzt. Apropos erhitzt: Von den angekündigten Wolken ist am Himmel wenig zu sehen. Ganz im Gegenteil brennt die Sonne erbarmungslos in mein ungeschütztes Genick. Die Sonnencreme liegt noch zuhause in dem zu kleinen Rucksack und meine Hardshell kann gegen den Sonnenbrand jetzt auch nichts mehr ausrichten.
Martin Bachmeier
Warum tust Du Dir das an?
Endlich am Grünstein-Gipfel angekommen, warten schon knapp 100 andere Bergsteiger, die mir gerne etwa von ihrem Sonnenschutz abgeben. Bei der Brotzeit etwas abseits der Massen lasse ich den Blick und die Gedanken schweifen:
War die Tour den ganzen Stress wert?
Vielleicht sollte ich das nächste Mal zum Packen eine Packliste verwenden, dann hätte ich mir zumindest das Umkehren gespart. Oder ich fahre mit Bus & Bahn, um Strafzettel zu vermeiden?
In der Gruppe sind wir uns einig, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hat. Auch wenn es mal stressig werden kann: Allein für die Aussicht auf Königsee, Steinernes Meer und Watzmann hat sich der Stress gelohnt.
P.S. Falls Du übrigens mehr zum Grünstein-Klettersteig wissen möchtest, schau Dir doch gerne unsere Beschreibung der Klettersteig Tour im Bergzeit Magazin an!
Was bedeutet für Dich Stress am Berg und wie gehst Du damit um? Und warum tust Du Dir das immer wieder an?
Schütte dein Herz aus in den Kommentaren!
Martin Bachmeier