Nach Skitouren, die mit kombinierter Kletterei zum Gipfel aufwarten, werden wir oft gefragt, ob Steigeisen notwendig waren. Die Antwort: In den meisten Fällen können Steigeisen nicht schaden – im Zweifel sollte man immer welche mitnehmen. Bieten sie doch in jedem Fall mehr Sicherheit.
Hybridsteigeisen, wie das Irvis Hybrid von Petzl, sind die beste Lösung. Sie sind leicht und klein verpackbar, sodass stets Platz für sie im Rucksack bleibt. Es spricht kaum etwas dagegen, Hybridsteigeisen bei Frühjahrs- oder Skihochtouren und erst recht bei potentiellen Gipfelklettereien einzupacken.
Jedenfalls halte ich erwartungsvoll den Karton mit den Petzl Irvis Hybridsteigeisen in den Händen und freue mich auf den Härtetest in der Praxis.
Mein erster Eindruck: Petzl Irvis Hybrid
Der Lieferumfang beinhaltet neben den Steigeisen, inklusive der obligatorischen Antisnow Antistollplatte, einen robusten, praktischen Packbeutel und einen zweiten Frontbügel.
Die Leverlock Universel Bindung kommt serienmäßig in zwei Ausführungen:
- FIL: mit Kipphebel an der Ferse für Schuhe mit einem festen Sohlenrand hinten; vorne mit einem Bügel für komplett steigeisenfeste Schuhe
- FIL FLEX: ebenfalls mit Kipphebel (hinten), aber mit flexiblen Körbchen für Schuhe ohne festen Sohlenrand vorne (für bedingt steigeisenfeste Schuhe)
Kompatibel sind die Steigeisen somit mit (bedingt) steigeisenfesten Bergstiefeln, Skitourenstiefeln und mit Telemarkstiefeln mit klassischem Schnabel vorne. Lediglich bei Bergstiefeln mit einer stärkeren Krümmung (z.B. La Sportiva Trango Ice Cube) stehen die geraden Steigeisen seitlich leicht über.
Der Clou: Petzl fertigt das vordere Segment der Steigeisen aus robustem Stahl. Der Fersenteil besteht hingegen aus leichterem Alu – deshalb auch das „Hybrid“ in der Bezeichnung. Eine pfiffige Neuheit stellt der Mittelsteg zur Verbindung und Längeneinstellung dar. Petzl setzt hier auf zwei sogenannte CORD-TEC-Schnüre aus Dyneema. Richtig gelesen – Schnüre! Durch sie lassen sich die Steigeisen sehr klein und platzsparend transportieren.
Die erstmalige Anpassung gestaltet sich durch den flexiblen Mittelsteg allerdings etwas ungewohnt. Dazu hilft aber ein Video von Petzl weiter. Im Video wird die Anpassung sehr gut erklärt – auch wenn die erstmalige Anpassung besser vor der Tour zu Hause durchgeführt werden sollte. Seht selbst:
Sind die Steigeisen angepasst und wieder im Beutel verstaut, verschwinden sie schnell im Rucksack. Jetzt kann es losgehen!
Die Petzl Irvis Hybrid Steigeisen im Praxis-Test
Vorab: Die Steigeisen durften sich auf verschiedenen Touren bewähren: Vom feuchten Gestapfe (Vorderseespitze/Lechtal), über kombinierte Gratkletterei (Gabler/Zillertal), pulvrigen Nordflanken mit Blankeispassagen (Pointe de Vouasson/Wallis) bis hin zu hartgefrorenen Firncouloirs (Mt. Vélan/Wallis). Diese Aufteilung dürfte in etwa dem von Petzl priorisierten Einsatzbereich entsprechen. Eine Aussage zur Haltbarkeit kann ich allerdings zunächst nur hypothetisch machen.
Antisnow Antistollplatte – Der Name ist Programm
An der Vorderseespitze in den Lechtalern überlegen wir noch – und ziehen die Steigeisen für die recht steile Spurarbeit dann doch an. Im ersten Teil – durch eine Rinne auf den Vorgipfel mit tiefem Pappschnee – verhindert die Antisnow Antistollplatte zuverlässig lästige und gefährliche Stollenbildung. Am letzten, steilen Aufschwung sind wir dann sehr dankbar für die Steigeisen, da die Wolken ein Auffirnen verhindern und somit noch alles gefroren ist.
Fester Sitz am Gipfelgrat
Auf einer anderen Tour spuren wir über den Gipfelgrat auf den Gabler in den Zillertaler Alpen. Diesmal weicht der Firn dem Fels. Hier spielen Hybridsteigeisen ihren langfristigen Vorteil aus, da der Verschleiß von Stahl auf Fels naturgemäß geringer ist als der von Alu.
Da ich zumeist steife Eisklettersteigeisen gewöhnt bin, besteht anfangs noch etwas Skepsis gegenüber den nicht ganz so fest sitzenden Irvis Hybrid. Doch bereits nach den ersten Touren ist das Vertrauen da. Der einzige Mehraufwand, den man mit dem flexiblen Verstellsystem gegenüber Modellen mit festem Steg hat, ist, dass die Steigeisen öfters auf ihren Sitz überprüft werden sollten. Insbesondere nach dem Einstellen der Cord-Tec-Schnüre setzen sich diese noch ein wenig.
Guter Grip – auch im steileren Eis
Dritte Testlocation: Schweiz. Dank der Locals im Wallis wird man auch abseits der bei uns bekannte Ziele mit genialen Bergen und Abfahrten verwöhnt. Unser erstes Walliser Ziel ist die Nordflanke der Pointe des Vouasson. Ein guter Teil der gut 500 Meter hohen Nordflanke geht noch per Ski. Dann werden diese gegen die Steigeisen getauscht. Auch wenn der tiefe Trittschnee die Steigeisen anfangs überflüssig macht, bestätigen zwei versteckte Blankeispassagen unsere „Pro Steigeisen“-Entscheidung. Zumindest im 45° steilen Gelände greifen die Petzl Irvis Hybrid prima auf dem harten Blankeis. Weiter oben verschwinden sie wieder, nahezu unbemerkt, im Rucksack.
Test im kombinierten Gelände
Zwei Tage später stehe ich unter der Westflanke des Mont Vélan oberhalb des Großen St. Bernhard. Das Tolle an dieser Berggegend ist, dass es hier eine Handvoll 500 – 600 Meter hoher und meist 45° Grad steiler Couloirs gibt, die alle mit Ski befahren werden wollen. Ich entscheide mich für das Zentrale- und das d‘Annibal-Couloir. Also nochmal gut 1200 Höhenmeter feinstes Testgelände mit hartem Trittschnee und kombinierten Passagen für die Irvis Hybrid Steigeisen. Die Erkenntnis nach diesem Tag: Begeisterung! Für solches Gelände leisten die Petzl Irvis Hybrid einfach wunderbare Dienste und sind im Rucksack angenehm zurückhaltend.
Testfazit zum Petzl Irvis Hybrid Steigeisen
Das Fazit nach den ersten gemeinsamen Touren: Ich bin begeistert – allerdings mit einem Rest (bislang unbegründeter) Skepsis. Sowohl das Gewicht als auch das Packmaß können auf Anhieb überzeugen. Das Vorderteil aus Stahl wiedersteht dem Felskontakt erwartungsgemäß gut – auch im harten Blankeis hat das Steigeisen ausreichend Biss. Wer es noch leichter haben will – und wenn der Verschleiß eine untergeordnete Rolle spielt – greift zum Modell Irvis, das komplett aus Aluminium besteht. Einzig die Cord Tec-Verbindung sollte regelmäßig auf Sitz und Verschleiss kontrolliert und gegebenenfalls durch einen neuen Verbindungssteg ersetzt werden. Dies ist auch die Empfehlung von Petzl – Cord-Tec ist als Ersatz erhältlich.
Dass Leichtausrüstung in mancher Hinsicht einen Kompromiss darstellt, zeigt sich natürlich auch hier. Petzl hat jedoch in meinen Augen seine Hausaufgaben gemacht. Wer sich für Petzl Irvis Hybrid Steigeisen entscheidet, bekommt einen zuverlässigen Begleiter, der nur ab und zu etwas Zuneigung haben will!
Die Petzl Irvis Hybrid Steigeisen im Überblick
- Leichtes, klein verpackbares Hybridsteigeisen mit zehn Zacken, einem Vorderteil aus Stahl und einem Hinterteil aus Aluminium
- Gewicht: 505 g (FIL), 540 g (FIL FLEX)
- Lieferumfang: Kipphebel (LEVERLOCK UNIVERSAL) mit Bügel (FIL) oder Körbchen (FIL FLEX), Anti-Stollplatte (ANTISNOW) und Packbeutel
- Einsatz: Skitouren, „Light and Fast“ Hochtouren
- Vorteile:
+ niedriges Gewicht
+ kleines Packmaß
+ super Handhabung - Anmerkung:
– zur Haltbarkeit der CORD-TEC kann unser Tester (noch) keine Aussage machen
Details der Testtouren für Interessierte:
Vorderseespitze / Lechtaler Alpen
Anspruchsvolle Skitour über schöne Hänge mit steilen Passagen (ca. 40°); zuletzt kombinierte Kletterei zum Gipfel.
Info: Panico Skitourenführer Lechtaler Alpen oder hier
Gabler / Zillertaler Alpen
Schwere Skitour über tolle Hänge nach einem kleinen Talhatscher, die mit einer ausgesetzten Gratkletterei gekrönt wird.
Info: Panico Skitourenführer Zillertaler Alpen oder hier
Pointe du Vouasson / Wallis
Anspruchsvolle und eindrückliche Skitour über die 600 Meter hohe und bis 45° Grad steile Nordflanke
Info: hier
Mont Vélan (Westcouloirs) / Wallis
Sehr schöne Couloirs durch die Westflanke des Mont Vélan mit – für Steilwände und Couloirs – moderaten Schwierigkeiten (500-600 Meter, ca. 40-45° Grad)
Info: Couloir Central, Couloir d‘Annibal