Sommer ist Hochtourenzeit. Verständlich, dass sich der Bergsportler in höheren Lagen bewegen möchte. Hochtouren bzw. Hochtourengipfel bieten neben kühleren, angenehmeren Temperaturen auch alpine und hochalpine Kulissen und Landschaften.
Podcast-Tipp: Hochtouren-Ausrüstung
In dieser Beratungsfolge erfährst Du alles wichtige zu Hochtouren-Ausrüstung:
Warum ist eine gute Selbsteinschätzung auf Hochtouren wichtig?
Die Höhe nimmt Einfluss auf den Körper und die Psyche, es müssen alpine Gefahren eingeschätzt werden und selbstverständlich musst Du auf das eigene Befinden achten.
Wichtig ist aber vor allem, dass ich bei jedem Teil, das ich dabei habe, genau weiß, wie ich es im Ernstfall verwende.
Bergführer Markus Höß
Aus physischer und psychischer Sicht solltest Du also ein waches Auge auf den eigenen Körper haben und Dich ständig selbst reflektieren. Es muss am Berg vieles beachtet und bewertet werden, im alpinen Gelände spielt deshalb eine gesunde Selbsteinschätzung eine wichtige Rolle.
Doch wie kommt man zu einer guten Selbsteinschätzung? Das frage ich Bergzeit Experte Markus Höß, der als Bergführer zahlreiche Hochtouren und ausgedehnten Wanderungen begleitet hat.
Interview mit Bergführer Markus Höß
Stolpersteine und Hochtouren-Ausrüstung
Martin Hanke: Markus, was ist das Wichtigste auf einer Hochtour – also einmal abgesehen von einer guten Ausrüstung, einer gewissenhaften Tourenplanung und einer stabilen Wetterlage?
Markus Höß: Eine gewissenhafte Vorbereitung bezieht sich auf mehrere Bereiche, die man vor jeder Hochtour checken muss. Wie bin ich ausgerüstet, welche Tourenverhältnisse erwarten mich, wie geht es mir selbst?
Adäquates Material ist natürlich wichtig. Wenn ich auf den Gletscher gehe, muss ich ausreichend Material dabei haben, um eine solide Verankerung in Eis oder Firn fixieren und einen Flaschenzug bauen zu können. Dafür brauche ich nicht viel. Ein Halbseil, einen Pickel, eine Eisschraube, ein paar Karabiner, Reepschnüre und eventuell eine kleine Steigklemme reichen, um effizient einen Gestürzten aus einer Spalte retten zu können. Der Petzl Rettungskit ist dafür wunderbar geeignet.
Bergzeit
Immer wieder sehe ich auf Touren Leute, die viel zu schweres Material dabei haben – aber gar nicht wissen, wie man das im Ernstfall verwendet.
Genau da liegt der Stolperstein der Psyche: viel Material erhöht nicht automatisch die Sicherheit!
Bergführer Markus Höß
Ganz im Gegenteil: je mehr man dabei hat, desto schwerer wird der Rucksack und desto langsamer ist man. Somit ist man auch länger in Gefahrenzonen.
Was würdest Du also sagen: Was braucht man auf einer normalen Hochtour und was nicht?
Markus Höß: Ich würde für eine normale Gletschertour nie mehr als zwei Eisschrauben pro Seilschaft mitnehmen. Genauso reicht für sehr viele Touren ein 50 Meter imprägniertes Halbseil. Auch kann man leichte Felsgrate bei Gipfelanstiegen sehr leicht mit ein paar Bandschlingen oder direkt mit dem Seil versichern und braucht da keinen Satz Keile oder Friends.
Ein normaler Gletscherpickel reicht für praktisch alle normalen Hochtouren und man braucht kein zweites Eisgerät. Diese Aufzählung ließe sich noch weiter führen, wichtig ist aber vor allem, dass ich bei jedem Teil, das ich dabei habe, genau weiß, wie ich es im Ernstfall verwende. Wenn das nicht der Fall sein sollte, brauche ich es gar nicht mitzunehmen!
Tourenplanung, Gruppendynamik und Selbsteinschätzung
Das bezieht sich auf den Umgang mit dem Material. Wie sieht es mit der Tourenplanung aus?
Markus Höß: Selbsteinschätzung auf Hochtour ist auch für den routinierten Hochtourengeher nicht leicht. Man muss auf verschiedene Zeichen achten. Zuhause bei der Tourenplanung hat man oft schon ein Grundgefühl. Das entsteht, wenn man einige Fragen für sich klärt: Welche Tour haben wir vor? Wie sind die Verhältnisse? Mit wem gehe ich die Tour? Hat mein Partner ausreichend Erfahrung? Sind wir der Tour gewachsen? Haben wir ausreichend Reserven, wenn etwas dazwischen kommt? Kann ich mich auf meinen Partner komplett verlassen oder verlässt er sich vielleicht eher auf mich?
…und wie sieht es mit den Rollen in einer Gruppe aus?
Bereitet man sich auf ein Wunschziel vor, dann liest man idealerweise den passernden Skitourenführer, studiert die Gebietskarte und informiert sich über schwierige Stellen bzw. Schlüsselstellen. Dann klärt man für sich selbst, ob jeder auf Tour allen Stellen gewachsen ist.
Ein Beispiel: Wenn ich merke, dass ich der einzige bin, der sich auskennt und falls mir etwas zustoßen würde, die anderen nicht mehr zurückfinden, dann habe ich gleich eine ganz andere Verantwortung.
Bergführer Markus Höß
Das muss ich mit meinen Tourenpartnern absprechen. Entweder alle informieren sich so, dass sich alle gleich gut auskennen oder man wählt ein anderes, vielleicht leichteres Ziel.
Wie kann ich prüfen, wie es mir auf Tour geht? Gibt es dafür Anzeichen oder Reaktionen, die ich bei mir beobachten kann?
Markus Höß: Ein guter Indikator ist der Puls. Der sollte beim Aufstieg maximal in deinem normalen Ausdauertrainingsbereich liegen. Du kannst das testen, wenn Du in der Bewegung noch ein normales Gespräch führen kannst. Höre auch auf Deinen Körper. Wenn Dir nicht gut ist, dann gib Deinen Tourenpartnern sofort Bescheid. Dafür ist absolutes Vertrauen zwischen den Tourenpartnern nötig. Dieses Vertrauen braucht man sowieso, wenn man an einem Seil geht. Also sollte man sich vorher schon seinem Tourenpartner öffnen und mitteilen, wie es einem geht und ob man Bedenken hat.
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Vorbereitung und Trainingszustand
Wenn die erste Hochtour des Jahres ansteht: Kann man feststellen wie fit man wirklich ist und welche Hochtourenziele eventuell gehen könnten?
Markus Höß: Da gibt es keine Formel. Wenn ich mich auch im Winter mit Skitouren und im Frühjahr mit Biken fit halte, warum sollte dann im Sommer auf einmal weniger gehen? Ich kann mich ja an meinen Winterleistungen orientieren. Schaffe ich im Winter 1.000 Höhenmeter Aufstieg in drei Stunden reiner Gehzeit, warum sollte das im Sommer nicht gehen? Im Sommer hab ich leichteres Material an den Füßen, dafür wird der Rucksack schwerer.
Wenn ich insgesamt mit dem Hochtourengehen beginnen will und sonst wenig in die Berge gehe, dann bereite ich mich am besten durch solide Grundlagenausdauer (Laufen oder Biken) vor.
Bergführer Markus Höß
Für den Einsteiger ist es schon am besten, die ersten Hochtouren mit einem Bergführer zu gehen! Das hat nicht nur den Vorteil, dass der Bergführer den Weg und die Gefahren kennt. Es macht sehr viel aus, wenn Du Dich bei Deinen ersten Touren auf Dich selbst und Deinen Körper konzentrieren kannst und nicht auf die Routenwahl, die Gefahrenstellen oder den Zeitplan achten musst.
Wenn man dann die ersten Touren auf eigene Faust unternimmt, ist es immer gut, wenn es keine einsamen, abgeschiedenen Ziele sind, sondern eine beliebte und bekannte Tour ist. Dann hat man gute Chancen, bei einem Notfall nicht alleine am Berg zu sein.
Die Leistung ab gewissen Höhen hängt ja stark vom Trainingszustand der einzelnen Person ab, auch die Tagesform spielt eine beachtliche Rolle. Wie merke ich, ob ich in Höchstform bin oder eher nicht? Gibt es da sichere Zeichen?
Markus Höß: Das stimmt so nur bedingt. Natürlich macht es mir eine gute Grundlagenausdauer leichter, wenn ich mich in der Höhe anstrenge. Aber wie gut ich mich an die Höhe anpasse, liegt in erster Linie daran, wie schonend ich meinen Körper an die Höhe gewöhne. Ideal ist es, langsam aufzusteigen und die Höhe aus eigener Kraft langsam zu gewinnen. Das höchste Risiko, höhenkrank zu werden, habe ich, wenn ich einfach mit der Bergbahn oder dem Lift soweit wie möglich hochfahre und dort gleich übernachte. Wichtig ist in der Höhe unbedingt ausreichend zu trinken. In der Höhe verliert der Körper über die Atmung sehr viel Flüssigkeit, da die Luft trockener ist.
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Das wichtigste Zeichen ist der Kopf. Steigt man zu schnell auf, bekommt man Kopfschmerzen. Da hilft nur viel trinken und keine körperliche Anstrengung. Sollte das Kopfweh innerhalb eines Tages nicht deutlich besser werden, muss sofort abgestiegen werden! Es besteht dann Verdacht auf Höhenkrankheit. Wenn man das auf die leichte Schulter nimmt, dann kann oft eine weitere Nacht in der Höhe den Körper so stark schwächen, dass man nicht mehr selbst absteigen kann und man braucht die Bergrettung. Bei Höhenkrankheit muss immer sofort abgestiegen werden! Ein deutliches Zeichen für gute Form ist die Schlafqualität. Schlafe ich gut, bin ich erholt und einsatzfähig.
Auch der Puls ist ein verlässliches Zeichen: mit zunehmender Höhe läuft er als erste Akklimatisationsphase schneller. Damit zirkuliert das Blut schneller, um ausreichend Sauerstoff in die Zellen zu bringen. Das merkt man besonders morgens, wenn man den Ruhepuls misst. Nach wenigen Tagen in der Höhe wird der Ruhepuls normal deutlich langsamer.
Erwartungshaltung und Risikoeinschätzung
Eine Hochtour stellt in einem gewissen Grad eine Herausforderung dar, die man gerne annimmt, auch in einer Gruppe. Hier spielt die Gruppendynamik und die Erwartungshaltungen oft eine Rolle, die das Selbstbild verzerren kann. Wie verhält man sich richtig oder am besten?
Markus Höß: Wie ich vorher schon erwähnte, das Wichtigste ist das komplette Vertrauen in seine Tourenpartner und dass man sich öffnet. Nur wenn ich weiß, wie es dem anderen geht, kann ich für mich entscheiden, ob wir das als Gruppe auch schaffen. Genauso muss ich von mir aus sagen, wie es mir geht, damit sich auch die anderen öffnen. Mal ehrlich: Wer gibt denn schon gerne zu, dass er nicht mehr kann und dass damit evtl. alle umkehren müssen?
Es gehört viel dazu, zu sagen: „Leute, es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr.“ Noch wichtiger ist, sich zu äußern, wenn man Bedenken hat.
Bergführer Markus Höß
Sei es Wetter, Sicherheit, Gefahrenstellen. Es passiert leider immer wieder, dass sich eine Gruppe in Gefahr manövriert und alle haben ein ungutes Gefühl, aber keiner sagt was, weil jeder denkt, der andere wird schon sagen, wenn es gefährlich wird. Das darf nicht passieren!
Auch die Verwendung des Seils ist für eine Gruppe immer wieder ein spannender Prozess: Wenn ich mit meinen Tourenpartnern unterwegs bin und ich bin der Meinung, es wäre Zeit, das Seil zu verwenden, dann sag ich das auch. Und wenn ein anderer meint, es ist noch nicht nötig, dann soll er mir das erst mal argumentieren. Sollte jetzt wirklich etwas passieren, was mit Verwendung des Seils nicht passiert wäre, dann hat derjenige das moralische Problem, der gesagt hat, man braucht hier kein Seil… Den Schuh zieht sich keiner gerne an.
Markus, was rätst Du Einsteigern oder denjenigen, die in ihrer Selbsteinschätzung nicht so geübt sind – gibt es da einen Leitspruch oder so etwas in der Art?
Markus Höß: Ich würde grundsätzlich erst mal in Begleitung eines Bergführers oder einer sehr erfahrenen Vertrauensperson ein paar Touren gehen. Wenn ich mich dann gut fühle und einen Partner habe, dem ich vertraue, dann kann ich auch alleine gehen. Einen richtigen Leitsatz habe ich nicht. Wichtig ist, dass man einander vertraut und sich wohl fühlt.
Blogs, Magazine und Bewertungsportale sind auch beim Bergsport mit all seinen Facetten die Quelle für Informationen und auch Risikoeinschätzungen geworden. Wie rätst Du mit den Einschätzungen und Schwierigkeitsangaben solcher Quellen umzugehen?
Markus Höß: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Es ist immer gut, so viele Informationen wie möglich über Touren zu bekommen. Gerade aktuelle Bilder sind da sehr gut. Die Kehrseite ist, dass die meisten Personen sehr subjektiv über ihre Erlebnisse und demnach auch die Touren berichten. Wenn es zum Beispiel gute Verhältnisse hatte und sich der Autor wohl gefühlt hat, dann klingt die Tour ein bisschen leichter und harmloser als sie wahrscheinlich tatsächlich ist. Hatte jemand schlechte Bedingungen und vielleicht auch einen schlechten Tag, dann wird eine leichte Tour gleich mal richtig hart. Als Leser weißt Du nicht, wie es dem Autor ergangen ist und wie gut, fit oder erfahren der Autor ist. Für eine solide Tourenvorbereitung brauchst Du immer eine gute Gebietskarte, einen Gebietsführer und den aktuellen Wetterbericht. Alle weiteren Infos sind gut, dürfen aber nicht die Entscheidungsgrundlage bilden.
Markus, vielen Dank für das Interview!