Ich gestehe: Ich bin ein Technik-Nerd. Dabei sind mit “Technik” bei mir nicht nur Chips und Bits zu verstehen, sondern auch auf technische Innovationen in jedem Bereich – sie ziehen mich magisch an. Ebenfalls magisch angezogen werde ich von Bergen: Nicht nur von den Heimischen im Chiemgau, sondern auch von den entfernteren im Wallis oder der Cordillera Blanca in Peru.
Was das jetzt mit dem Summit Torre Egger Schuh von North Face zu tun hat? Der vereint ebenfalls beides: eine gewisse technische “Andersartigkeit” und den Einsatzzweck beim (Expeditions-)Bergsteigen, auf Hochtouren und beim Eisklettern. Sind wir also das perfekte Match?
💡 Die wichtigsten Produkt-Features in Kürze
- Expeditionsstiefel mit zwei austauschbare Innenschuhe zur Temperaturregulierung
- Technische Ausstattung für extreme Bedingungen bei 4.000 bis 6.000er Gipfel
- Gewicht: 700 Gramm pro Schuh
- Technische Features: Kombination Aus Spectra®, Cordura®, Dyneema® Und FUTURELIGHT™ im Obermaterial, Vibram® Litebase Mont Gummi
Erster Eindruck: Der etwas andere Stiefel
Dass es sich hier um einen etwas anderen Schuh handelt, wird bereits klar, bevor man ihn überhaupt ausgepackt hat: Die Verpackung ist riesig und lässt so manchen Skitourenschuh-Karton alt aussehen. Der Expeditionsstiefel braucht auch etwas Platz:
Im Paket kommen Aussenschuhe, zwei Innenschuh-Paare für verschiedene Temperaturen und je zwei dünne Einlegesohlen.
Hier zeigt sich die größte Besonderheit des Schuhs: Innen- und Aussenschuhe sind getrennt, so wie man es von Skischuhen her kennt.
Bergzeit Tester
Die beiden Innenschuhe haben keine zusätzliche Schnürung, der Außenschuh verfügt über eine Gamasche und besitzt darunter einen BOA-Drehverschluss sowie ein breites Klettband, das sich um das Sprunggelenk legt.
Darüber liegt eine Schicht aus einem atmungsaktiven und wasserdichten sowie abriebfesten Materialmix und ein wasserdichter Reißverschluss. Unten gibt’s beim Torre Egger eine steife (Kategorie D) und voll steigeisenfeste Vibram-Sohle.
Details des The North Face Summit Torre Egger FL
Vorbildlich – hier wurde auch auf kleinste Details geachtet. Den Schaftabschluss beispielsweise bildet eine kleine Gummigamasche, es gibt überall kleine Schlaufen, die als Zug- und Einstiegshilfe gedacht sind. Außerdem sind die Innenschuhe an Knöcheln & Co. zusätzlich gepolstert und außen besonders gegen Abrieb geschützt. Wirklich nicht schlecht.
Franz Güntner
Designtechnisch spricht der Schuh keine dezente Sprache, die rot-schwarze Musterung erweckt Assoziationen aus dem Tierreich. Die schwarzen Streifen sind übrigens abgesetzt und augenscheinlich aus dem gleichen Material wie der Geröllschutz. Wie sich dieser Design-Kniff im Langzeittest schlägt (Stichwort: Abrieb), muss sich erst noch herausstellen.
Bergzeit Tester
Bergzeit Tester
Verneinen muss man hingegen die Wasserdichtigkeit des Schuhs. Der Schuh ist am Reißverschluss definitiv nicht wasserdicht, was sich spätestens beim Durchwaten von Flüssen negativ bemerkbar machen wird. Für Flussquerungen muss man aber nicht auf Expedition gehen, bereits etwas abgelegene höhere Ostalpen-Gipfel verlangen das im Sommer.
Pluspunkt hingegen: Wer tatsächlich nasse Füße hat, kann im Lager oder auf der Hütte einfach den Innenschuh herausziehen und profitiert von einer deutlich schnelleren Trocknung. Auch könnte man den Innenschuh wahrscheinlich als Hüttenschuh verwenden.
Die Passform des TNF-Expeditionsstiefels
Ich habe – je nach Hersteller – eine Schuhgröße zwischen 41,5 und 42, der Schuh ist für mich mit Größe 42 etwas länger als erwartet. In der Breite passt er aber optimal.
Man muss bedenken, dass die Kombi aus Innen- und Aussenschuh etwas mehr Platz verlangt, als bei herkömmlichen Schuhen.
Der Innenschuh sitzt sehr angenehm und durch die Trennung der beiden Schuhe sind Blasen eher unwahrscheinlich: Etwaige Reibepunkte werden ja nach außen hin verlagert. Die Zehenbox fällt sehr niedrig aus, dadurch ist es unmöglich, eigene Einlegesohlen zu verwenden – egal ob orthopädische oder Komfortsohlen wie die von Sidas. Wer nicht darauf verzichten kann oder will, für den kommt der Schuh nicht in Frage.
Franz Güntner
Das BOA-System und ich sind keine großen Freunde. Es beginnt erst sehr weit hinten am Fuß und erlaubt den Zehen dafür doch recht viel Spielraum. Außerdem kann ich nicht nachvollziehen, warum ein mechanisches Bauteil für einen Expeditionsschuh eingesetzt wird: Schnürsenkel lassen sich wahrscheinlich in jedem Teil der Erde besorgen – ein neues BOA-System eher nicht.
Allerdings muss man fairerweise auch sagen: Bei dieser Form der Bergstiefel scheint sich das BOA-System durchgesetzt zu haben, zumindest verwenden es auch die meisten Mitbewerber.
North Face hat noch zusätzliche Laschen verbaut, falls aus irgendeinem Grund das System versagt.
Natürlich ist es reizvoll, ein System zu verbauen, das mit einem Zug an dem BOA-Knopf komplett offen ist und mit wenigen Drehungen geschlossen werden kann. Allerdings könnte man von einem Bergprofi, für den dieser Schuh gedacht ist, auch erwarten, dass er etwas von Schnürung versteht und vielleicht auch seine ganz eigene Technik hat – denn es gibt bei weitem mehr Schnürtechniken als eine Schleife mit Sicherungsknoten drauf.
Der Riemen um das Sprunggelenk stabilisiert den Fuß außerordentlich gut, aber er ist auch gewöhnungsbedürftig. Es braucht also etwas Zeit, um sich an diesen Schuh zu gewöhnen und die richtigen Einstellungen zu finden.
Der The North Face Summit Torre Egger FL im Praxistest
Der Testschuh erreichte mich zu einer unpassenden Zeit: Für Hochtouren zu spät, für Winter und Eisklettereien noch zu früh. Meine Einschätzung kann ich daher nur beim Wandern und Bergsteigen geben. Dennoch sind auch diese Tests nicht unnütz, denn nur in den wenigsten Fällen nimmt man so einen Schuh nur für die technischen Anstiege, sondern auch für die Zustiege.
Wie schlägt sich der Expeditionsstiefel beim Gehen?
Bei langen Wegen ist für mich das wichtigste Kriterium: Kann ich vergessen, dass ich so einen festen Schuh an den Beinen habe? Die Antwort ist: fast! Der Schuh rollt – bedenkt man Sohlensteifigkeit und die flache, ungerundete Sohle – gut ab, und wenn man den Asphalt verlässt, merkt man kaum mehr was. Mit etwas über 700 Gramm pro Schuh ist er auch angenehm leicht. Auch die Verschlusskombi aus BOA und Klettband innerhalb der Gamasche funktioniert erstaunlich gut – es drückt nichts.
Bergzeit Tester
Was mir aber negativ aufgefallen ist: Der Innenschuh juckt und pieckt und kratzt in unregelmäßigen Abständen. Es fühlt sich oft so an, als hätte man kleine Dornen oder Mini-Holzstücke im Schuh. Die Ursache musste ich erst erfühlen: Es sind kleine Kunststoffstückchen, die an manchen Nahtstellen herausschauen. Diese Enden stechen regelmäßig durch den Socken und führen zu Mini-Reizungen. Ob diese Qualitätsstufe in einem 600-Euro-Schuh angemessen ist, muss man selbst entscheiden. Im wärmeren Innenschuh sind sie mir nicht aufgefallen.
Wie schlägt sich der Expeditionsstiefel beim Bergsteigen?
In Ermangelung an Eis und Schnee muss der Schuh zunächst noch beim normalen Bergsteigen herhalten. Der Seitenhalt im Schuh ist sehr gut, das hatte ich ob des niedrigen Schnittes innerhalb der Gamasche nicht angenommen. Wie sich der Seitenhalt mit Steigeisen verändert, konnte ich bislang noch nicht testen. Alle anderen Terrains in den Bergen hat der Schuh problemlos mitgemacht: Im Matsch und Geröll gibt das ausgeprägte Profil Halt, an Leisten sorgt die steife und flache Sohle für präzises Ansteigen.
Franz Güntner
Generell fällt mir auf, dass der Schuh deutlich fester verschlossen werden muss, also ich es bei “herkömmlichen” Schuhen mache, um den gleichen Halt zu bekommen. Das wundert auch nicht: Während man bei normalen Schuhen direkt auf den Fuß schnürt, so wirkt hier der Verschluss nur auf den Innenschuh. Ob sich das wirklich negativ bemerkbar macht, muss ich nochmal in Augenschein nehmen.
Fazit zum The North Face Summit Torre Egger FL
Der Schuh besticht durch viele technische Innovationen und viel Liebe zum Detail. Gehperformance und Gewicht lassen kaum Wünsche offen.
Die Möglichkeit, zwischen zwei Innenschuhen wählen zu können, ist sehr praktisch und erlaubt einen breiteren Einsatzbereich – was sich positiv auf die Gesamtkosten sowie auf die Nachhaltigkeit auswirken kann.
Bei der Passform sehe ich das größte Manko darin, dass man keine eigenen Einlegesohlen verwenden kann. Wer in dieser Hinsicht unkomplizierte Füße hat, kann diesen Schuh hingegen getrost in die engere Auswahl nehmen.
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