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Die große Freiheit im Schnee

Tom Leitner – ein Profi-Freerider im Interview

15 Minuten Lesezeit
Auf der ISPO stand Freeride-Profi Tom Leitner Bergzeit-Redakteur Arnold Zimprich Rede und Antwort - zum Freeriden im Allgemeinen und zu den Herausforderungen eines Profi-Sportlers im Speziellen.

Vergleichsweise lang hat es gedauert, ehe Thomas „Tom“ Leitner die internationale Freeride-Bühne betrat. Trotzdem legte der 33-jährige Chiemgauer eine beeindruckende Karriere hin und war 2016 bereits das siebte Jahr bei der Freeride World Tour (FWT) am Start. Damit ist er einer der wenigen deutschen Teilnehmer an der legendären Tiefschnee-Rennserie.

Nach vielen Jahren als Alpinski-Rennfahrer blieb Tom im Gegensatz zu vielen seiner Freunde, die zum Snowboarden wechselten, beim Skifahren – und war live mit dabei, als Freeski, diese damals noch neue, „freie“ Art des Geländeskifahrens, populär wurde. 2009 nahm er als Ersatz für einen verletzten Freund an der Freeride World Tour teil – und gewann!

Seitdem ist viel passiert. Zahlreiche Teilnahmen an der FWT mit Top 10-Platzierungen, Teilnahmen am Red Bull Linecatcher und am Swatch Skiers‘ Cup sind nur einige Stationen in seiner beeindruckenden Karriere. Für Tom ist Skifahren mehr als nur Hobby – es ist Teil seines Lebens. Auf den Freeride-Ski zu stehen bedeutet für Tom Freiheit und sich ausdrücken zu können.

ISPO, Münchner Messegelände. Tom Leitner erscheint trotz der allgegenwärtigen Messe-Hektik leger gekleidet und sichtlich entspannt zum Interview. Bei Tee und Keksen gibt der sympathische Chiemgauer dem Bergzeit Magazin hinter den Kulissen des Black Crows Stands einen Einblick in sein Leben als Freeride-Profi, erläutert, was ihn aktuell umtreibt und erklärt, warum für ihn die heißesten Projekte direkt vor der Haustür liegen.

Arnold Zimprich: Servus Tom! Du bist einer der erfolgreichsten Freerider aus Deutschland. Wie hältst Du es eigentlich mit „Basics“ wie dem Skitourengehen?

Tom Leitner in Haines, Alaska. | Foto: Armin Walcher
Tom Leitner in Haines, Alaska. | Foto: Pally Learmond

Tom Leitner: Ich gehe gerne und viel Skitouren. Zum einen, weil das Material langsam mitspielt, zum anderen, weil ich älter werde und eine etwas andere Sicht auf die Dinge habe (lacht). Lieber wenige, konzentrierte Abfahrten, auf die man sich freut, als zwanzig Mal am Tag mit Liftunterstützung die gleiche Abfahrt hinunterbolzen. Natürlich brauche ich auch das, um fit zu bleiben. Der Fokus liegt jedoch klar woanders. Was mir wirklich Spaß macht, sind Skitouren!

Zwischen Lehrberuf und Freeride-Profi

Du bist eigentlich Lehrer. Glaubst Du, dass Du diesen Beruf jemals ausüben wirst?

Tom Leitner: Klar, das steht schon im Raum. Womit ich mich allerdings etwas schwer tue, ist die Idee eines „klassischen Wegs“ mit Referendariat und allem, was dazugehört. Für mich im Vordergrund steht, dass ich der nächsten Generation etwas mitgeben will. In welcher Form das dann tatsächlich geschieht, wird sich zeigen.

Freeride-Profi zu sein ist aber sicher auch nicht so schlecht, oder?

Tom Leitner: Ich bin sehr zufrieden! Ich habe vielleicht einen ungewöhnlichen Weg hinter mir – aber genau der hat mich dorthin gebracht, wo ich jetzt bin. Und genau das würde ich auch gerne weitervermitteln. Ein Freund hat beispielsweise eine Stiftung gegründet, bei der Jugendliche von 15 Jahren aufwärts angeleitet werden, Dinge zu tun, die sie gerne machen – try-crossover.de. Kreative Leute aus vielen Bereichen, die in ihrem Metier etwas erreicht haben, geben dort ihre Erfahrungen an Jugendliche weiter. Hier geht es nicht um Profitmaximierung, sondern darum, den Leuten zu zeigen, wie sie einfach ein gutes Leben führen. Nehmen wir das Paradebeispiel Skifahren – damit hängen so viele schöne Berufe zusammen. Es gibt Journalisten wie Dich, die darüber berichten, es gibt Presse- und PR-Arbeit, es gibt Ski-Konstruktion und -Produktion…

…oder eben Freerider wie Dich! Anderes Thema: Du hast eine kleine Tochter. Beeinflusst das Deine Risikobereitschaft beim Freeriden?

Tom Leitner: Ja, auf jeden Fall. Das fing allerdings schon damals an, als ich meine jetzige Freundin kennengelernt habe. Als mir bewusst wurde, dass es „das jetzt sein wird“ (lacht), habe ich meine Vorbereitung umgestellt. Statt „das wird schon gehen“ habe ich auf einen kalkulierteren Fahrstil umgesattelt.

„Klar hat sich mein Risikobewusstsein durch die Geburt meiner Tochter verändert“

Wie oft kommst Du als Profi eigentlich in eine Situation, in der Du Dir sagst: „Oh, das war jetzt aber knapp!“?

Tom Leitner: Im Griff hat man es nie – und das sollte man sich auch nie einbilden. Aber ich habe stets das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Wenn man in Alaska beispielsweise auf einem Berg steht und gerade mal drei Meter weit sehen kann, bevor der Hang fast senkrecht abbricht, fragt man sich schon manchmal: „Was mache ich hier eigentlich?“

Freeriden bedeutet für Tom Leitner, sich ausdrücken zu können. | Foto: Armin Walcher
Freeriden bedeutet für Tom Leitner, sich ausdrücken zu können. | Foto: Armin Walcher

Blendest Du Deine Familie komplett aus, wenn Du ein riskantes Projekt planst?

Tom Leitner: In so einem Moment ist man so fokussiert – da gibt es keine anderen Dinge. „Ich bin hier, ich fahr jetzt hier runter!“ – das sind die einzigen Gedanken. Es geht mir eher so, dass ich mich vor großen Projekten ab und zu frage, ob das denn jetzt wirklich unbedingt sein muss – so viel Zeit mit dem Freeriden zu verbringen! Übermorgen fliege ich beispielsweise mit Fabi Lentsch (Tiroler Profi-Freerider, Anm. d. Red.) in die Türkei und bin wieder mal für zwei bis drei Wochen unterwegs.

Was sagt denn Deine Freundin dazu?

Tom Leitner: Wir reden da ganz locker und offen darüber. Sie weiß immer Bescheid, wo ich gerade unterwegs bin und was ich mache. Es ist manchmal so, dass ich sie am Abend anrufe und ihr auch ganz deutlich sage, wenn eine Aktion besonders riskant war. Damit weiß sie dann auch, dass ich mir durchaus Gedanken darüber mache, welche Lines ich in Angriff nehmen kann und welche nicht. Verheimlichen tu ich ihr ganz sicher nichts!

Um vorne mitzuhalten, muss das Portfolio gut gefüllt sein

Hast Du das Gefühl, dass die Ansprüche an einen Profi wie Dich immer höher werden? Musst Du immer mehr wagen, um in der Szene mithalten zu können? Oder stagniert das Leistungsniveau?

Tom Leitner: Das Leistungsniveau stagniert ganz sicher nicht. Aber man merkt – zumindest was die Massentauglichkeit angeht – dass die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer an einem Limit angekommen ist. Die Spirale des „immer-extremer“ hat sozusagen einen Gipfel erreicht. Die Leute können sich nicht mehr mit dem hohen Leistungsniveau identifizieren und nicht mehr unterscheiden, was im Vergleich zum Vorjahr noch heftiger geworden ist. Die Bilder gleichen sich: Anonymer Berg in Alaska, unberührter Schnee, krasse Aktionen….

Aber das ist doch genau das, was Dich glücklich macht, oder?

Tom Leitner: Klar, für einen Sportler wie mich ist das das Höchste und ich bin sehr froh, dass ich all das gemacht habe. Mein persönlicher Anspruch ist aber wiederzuentdecken, warum ich überhaupt Ski fahre – und das ist schlicht der Spaß an der Sache. Mein Anspruch ist zudem, dass ich das zeitgemäß mache. Das bedeutet für mich auch, nicht nur „abgehoben“ durch die ganze Welt zu reisen, nur um ein paar Schwünge in den Powder zu legen, sondern das Naheliegendste neu zu interpretieren. Authentische Geschichten erzählen, hinter denen man zu hundert Prozent steht. Projekte in der unmittelbaren Umgebung umsetzen.

Ist es für einen Profi wie Dich eigentlich unbedingt notwendig, dass Du Backcountry-Bilder aus abgelegenen Gegenden im Portfolio hast? Oder kämst Du mit einem reinen „Alpen-Programm“ auch über die Runden?

Tom Leitner: Es gibt schon eine gewisse Erwartungshaltung. Deswegen war ich auch in Alaska unterwegs. Als Profi brauchst Du das einfach als Referenz. Ich habe allerdings so ein Bauchgefühl, dass es inzwischen an der Zeit ist, andere Wege zu beschreiten. Ob das dann von den Sponsoren akzeptiert wird, ist mir egal – ich glaub‘ einfach dran. Bevor ich mich bei den Sponsoren anbiedern muss, gehe ich lieber normal arbeiten. Diese Freiheit muss ich mir ganz einfach einräumen!

Tom Leitner in Aktion: neben internationalen Destinationen sind die Chiemgauer Alpen sein "Spielplatz" | Foto: Armin Walcher
Tom Leitner in Aktion: neben internationalen Destinationen sind die Chiemgauer Alpen sein „Spielplatz“. | Foto: Armin Walcher

Das Lawinen-Briefing vor Ort ist auch für einen Tom Leitner unerlässlich

Wie informierst Du Dich eigentlich an den jeweiligen Spots über die Lawinensituation und über die Schneeverhältnisse?

Tom Leitner: Im Normalfall organisieren wir uns einen Local. Entweder einen Skifahrer, den wir schon kennen – oder einen Guide, der das Gelände sehr gut bewerten kann. Das gilt im Speziellen für Gebiete, zu denen wir nur wenige verlässliche Infos bekommen können. Die wichtigsten Infos zum Schneedeckenaufbau bekommen wir direkt vor Ort, weitere Infos hole ich mir wie jeder andere über das Internet. Auch Standards wie Schneeprofile graben gehören jedoch ab und zu dazu!

Hast Du selbst die gängigen Lawinen-Ausbildungen gemacht?

Tom Leitner: Ja, die wichtigsten Grundausbildungen zu Schnee und Lawinen habe ich gemacht. Allerdings bin ich oft in Bereichen unterwegs, wo klassische Methoden wie das 3×3 oder die Reduktionsmethode nicht mehr greifen. Was bei mir maßgeblich zählt, ist der Instinkt. Wenn man jahrelang so intensiv im Schnee unterwegs ist, entwickelt man automatisch ein Gespür – wo ist eine Spannung drauf, wo ist Triebschnee usw. Auf der anderen Seite darf man aber auch nie meinen, dass man über alles Bescheid weiß. Ein klassischer Fehler, vor dem wirklich niemand gefeit ist!

Was würdest Du einem Freeride-Neuling in Sachen Sicherheit raten?

Tom Leitner: Erster Schritt wäre die Recherche im Internet. Da bekommt man inzwischen wirklich super Informationen. Weiterer Punkt wäre dann das Material. Pieps, Schaufel, Sonde und Lawinenrucksack gehören inzwischen zur Standardausrüstung. Sonst ist eine Verschüttung mit großer Wahrscheinlichkeit ein Todesurteil. Ein zusätzlicher Kurs ist dann das i-Tüpfelchen, das alles zusammenbringt. Wenn man im Ernstfall auf Erfahrungen aus einem Kurs zurückgreifen kann, ist das wirklich sehr viel wert!

Wie oft frischst Du Dein Lawinen- und Schneewissen auf?

Tom Leitner: Jedes Jahr einmal vor der Saison. Ich vergesse zwar nichts, aber das Wissen rostet ein. Ich mache das jetzt schon seit so vielen Jahren – da reicht es oft, wenn ich die einzelnen Schritte im Kopf durchgehe. Trotzdem ist das Auffrischen von Zeit zu Zeit enorm wichtig!

Denkst Du, dass die Leute mehr Risiken eingehen, weil die Ausrüstung über die Jahre besser geworden ist?

Tom Leitner: Mit der Ausrüstung hängt das meiner Meinung nach nicht zusammen. Das hat eher mit einem gesteigerten Konkurrenzdenken zu tun. Hänge, die vor 15 Jahren nur im Frühjahr gefahren wurden, werden heutzutage schon im Hochwinter angegangen. Es gibt inzwischen so viele, die auf die Line, den Run, den Hang lauern, dass ein hoher Druck auf den einzelnen Fahrern lastet. Schlagwort Internet: Man bekommt ständig mit, wer wo was bereits gemacht hat und will möglichst schnell nachziehen. Das ist es, was die Risikospirale nach oben treibt, nicht das Material.

„Wenn ich was abliefere, ist das kein Bullshit!“

Die richtige Risikoabschätzung ist für Tom Leitner das A und O. | Foto: Armin Walcher
Die richtige Risikoabschätzung ist für Tom Leitner das A und O. | Foto: Armin Walcher

Ist es so, dass Du liefern musst, was die Medien angeht? Werden bestimmte, krasse Aktionen und waghalsige Projekte von Dir gefordert? Oder wissen die Leute und Sponsoren automatisch, dass die Aktionen, die Tom Leitner abliefert, gut sind?

Tom Leitner: Hier geht es primär um Vertrauen. Ich bekomme von meinen Sponsoren Black Crows, Mammut, Marker und CEP keinerlei Druck. Sie wissen auch: Wenn ich was abliefere, dann zählt das was, dann ist das kein „Bullshit“. Für mich ist nicht Priorität, dass ich meine Sponsoren zufriedenstelle, sondern dass ich etwas mache, von dem auch ich voll und ganz überzeugt bin!

Ich habe gerade so ein Bild im Kopf von Freeridern, die von Sponsoren unter Druck gesetzt werden und auf Teufel komm raus waghalsige, lebensmüde Leistungen abliefern müssen…

Tom Leitner: Das mag bei manchen Sponsoren so sein – mit denen bin aber nie in Kontakt getreten. Da bin ich der falsche Typ dafür. So kann es auch nicht funktionieren. Freeriden hängt von der Natur ab – und die gibt vor, was geht. Auf der anderen Seite – je größer die Projekte, je größer das Budget, desto höher der Zugzwang, bestimmte Dinge umzusetzen, mit denen man vielleicht nicht zu hundert Prozent einverstanden ist.

Sind die meisten Freeride-Profis schmerzfrei drauf und jetten der perfekten Line über den ganzen Erdball hinterher?

Tom Leitner: Ich denke, dass ein Großteil der Skifahrer so denkt wie ich, also ein wenig geläutert ist. Nur: Es ist schwierig, dass man dann auch die entsprechende Aufmerksamkeit bekommt. Die „Opinion Leaders“, die auch die besten Freerider in der Szene sind und an die dicken Budgets herankommen, unterliegen anderen Sachzwängen. Das wirkt oft schmerzfrei – im Herzen würden sie es vielleicht auch anders machen wollen. Ich habe schon das Gefühl, dass da ein Wandel stattfindet, nicht nur beim Skifahren. Die Zeit unbegrenzten Wachstums ist jedenfalls vorbei. Die Leute schrauben zurück, beschränken sich auf einen kleineren Umkreis.

Was sind bei vergleichsweise schlechter Schneelage wie in diesem Winter die Spots, die Du auf jeden Fall ansteuern kannst?

Tom Leitner: Arlberg geht meistens, Courmayeur und Chamonix gehen fast immer. Hier in der Nähe fahre ich gerne nach Fieberbrunn, Obertauern und Zauchensee. Der Hochfelln in den Chiemgauern ist allerdings mein Lieblingsberg – den kenne ich wie meine Westentasche. Dort bin ich in zehn Minuten. Da ist alles noch ein bisschen verschlafener – das mag ich einfach!

„Elektromobiles“ Freeriden ist die Zukunft

Hast Du ein konkretes Projekt, das Du gerade verfolgst?

Tom Leitner: Es geht mir momentan darum, so nah an meinem Heimatort wie möglich etwas Spannendes zu machen. Es gibt genug Abenteuer direkt vor der Haustür, die noch nicht realisiert wurden, weil die Logistik schlicht zu aufwändig ist. Lange Anmärsche, keine Motorschlitten wie in Alaska – das schreckt ab. Durch die Elektromobilität tun sich jedoch neue Möglichkeiten auf. Ich sag nur: umweltfreundlich und keine Lärmentwicklung! Da bin ich gerade ein bisschen am Rumspinnen. Wenn sich beispielsweise ein zehn Kilometer langer Talhatscher „elektromobil“ und umweltfreundlich überbrücken ließe, würde das uns Freeridern neue Betätigungsfelder eröffnen.

Stichwort Film: Wo siehst Du die nächste Stufe der filmerischen Vermarktung?

Tom Leitner im Portrait: Der Freerider freut sich auf zahlreiche Projekte in den Chiemgauern | Foto: Pally Learmond
Tom Leitner im Portrait: Der Freerider freut sich auf zahlreiche Projekte in den Chiemgauern | Foto: Pally Learmond

Tom Leitner: Der klassische Skifilm ist für mich klar an einer Grenze angekommen. Dadurch, dass alles immer nur noch heftiger wird, sind vielen Zuschauern die Relationen abhanden gekommen.

Denkst Du also, dass das Medium Film ausgereizt ist?

Tom Leitner: Nein, das glaube ich wiederum nicht! Ich denke nur, dass man mit einem anderen Denkwinkel an die Sache herangehen muss. Skifahren medial darzustellen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Die klassische Darstellung, wie sie sich in den letzten 20 Jahren etabliert hat, wird jedoch langsam aussterben. Man sollte nicht nur auf Show machen, sondern authentische Geschichten erzählen – wie im normalen Medium Film auch. Ski Porn, wie wir ihn jetzt kennen, ist unter MTV-Einfluss entstanden und erinnert von der Dramaturgie her eher an Musikclips. Und das ist für meine Begriffe ausgereizt. MTV gibt’s nicht mehr – bei den Skifilmen ist es auch an der Zeit, neue Wege zu beschreiten. Ich versuche, dass ich etwas mit Substanz mache, authentisch bin. Wo es genau hingehen wird, kann ich aber auch noch nicht sagen!

Denkst Du, dass die Leute ein höheres Risiko eingehen, weil die Filme immer krasser werden?

Tom Leitner: Nein, das glaube ich nicht. Was die Top-Freerider machen, ist zu abgehoben, um es einfach so nachzumachen. Ich glaube eher, dass das eigene Umfeld und die sozialen Medien einen Druck aufbauen, immer besser zu sein, immer mehr zu wagen… Alles besteht nur noch aus Highlights, Highlights, Highlights. Man hat immer das Gefühl, mithalten zu müssen, und dadurch entsteht auch der Druck.

Bei den Profis passiert ja nicht gerade wenig – ich sag nur JP Auclair oder Andres Fransson…

Tom Leitner: Im kleinen Kreis der Profisportler ist es schon extrem, was passiert – das bricht sich aber nicht auf den Freizeitsportler herunter. Mein Eindruck ist, dass im Profisport entweder das Reglement verschärft oder neue Wege beschritten werden. Das merkt man beispielsweise beim Surfen. Das gibt es viele Subkulturen… Beim Skisport ist es genauso!

Meinst Du, dass die Leute wahrhaben, in welche Gefahr sich Freeride-Profis begeben?

Wie die Schneeverhältnisse vor Ort sind, ist oft schwer vorhersehbar. | Foto: Black Crows
Wie die Schneeverhältnisse vor Ort sind, ist oft schwer vorhersehbar. | Foto: Black Crows

Tom Leitner: Ich glaube, dass das viele nicht einschätzen können. Als Insider denkt man sich allerdings schon oft: „Eieiei, hat der aber Glück gehabt!“

Was Freerideski, Snowboards und Wasserski gemeinsam haben

Sorry Tom, ich als Splitboarder muss diese Frage einfach noch stellen: Hast du eigentlich daran geglaubt, dass Skifahren nach dem ganzen Snowboardboom in den 1990er und 2000er Jahren wieder kommen wird?

Tom Leitner: Ja, da habe ich immer dran geglaubt (lacht)! Deswegen bin ich auch immer dran geblieben, obwohl alle meine Freunde damals zum Snowboarden gewechselt haben. Ich habe mir immer gedacht: Ski sind seit Jahrtausenden die Fortbewegungsmittel im Schnee – warum sollte das nun plötzlich obsolet sein? Zwei Stöcke, Bretter an den Schuhen – das ist einfach das Sinnvollste im Winter!

Für mich war es damals fast schon schockierend, dass Ski plötzlich weg vom Fenster waren… die waren einfach nicht mehr „in“!

Tom Leitner: Einbetoniertes, eindimensionales Denken hat der Skiszene damals sehr zugesetzt. Trotzdem war ich gerne mit Snowboardern unterwegs, die einen frischen Blick auf die Dinge hatten. Die wurden sehr von der Skateboardszene beeinflusst. Skifahrer waren damals eher „Scheuklappentypen“, die die Entwicklungen verschlafen haben. Der Carving-Gedanke kam von den Snowboards – echt Wahnsinn, wenn man sich das genau überlegt! So ein simples Prinzip! Die Double-Rocker Thematik kam dann von den Wasserski. Erst musste ein Shane McConkey (kanadische Freeride-Legende, Anm. d. Red.) mit Wasserski die Hänge runterpflügen, damit die Vorteile von hochgezogenem Tip und Tail im Powder erkannt wurden!

Freeriden=Freiheit | Foto: Mammut/Peter Mathis
Freeriden bedeutet Freiheit. | Foto: Mammut/Peter Mathis

Zum Schluss die entscheidende Frage: Was würdest Du einer Nachwuchs-Freeriderin oder einem Nachwuchs-Freerider mit auf den Weg geben, der es so weit bringen will wie Du?

Tom Leitner: Es muss ihr oder ihm immer um das Skifahren selbst gehen, nie um die Karriere. Nie hätte ich mir erträumt, dass ich einmal vom Freeriden leben kann. Man sollte es unbedingt der Sache wegen machen. Wenn man eine Leidenschaft hat, und dieser Leidenschaft mit voller Energie nachgeht, dann befriedigt das ungemein und ergibt einen Lebensmittelpunkt, um den sich sehr viele Sachen aufbauen. Ich würde nie jemandem gleich auf Anhieb raten, Ski-Profi zu werden. Ich glaube, dass das auch gar nicht funktioniert. Ich würde es der Sache wegen betreiben und dann sehen, wohin das führt!

Tom, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei allem, was Du vorhast!

Das Interview fand auf der Winter-ISPO 2016 in München statt.

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