Um uns herum wabern Nebelschwaden, die nur ab und zu eine vage Vermutung über den weiteren Verlauf des Grates vor uns zulassen. Der hart gefrorene Schnee knirscht unter unseren Sohlen und kalte Windböen erschweren es, auf der schmalen Trittspur das Gleichgewicht zu halten. Die Höhenuhr zeigt über 4.000 Meter, es kann nicht mehr weit sein. Ist das da vorne der Gipfel? Vor mir verschwindet Jonas schon halb im trüben Weiß und ich folge ihm, um es herauszufinden.
Thomas Herdieckerhoff
Bei der Recherche nach einem 4000er, den wir besteigen können, stoßen Jonas und ich (beide leidenschaftliche Bergsteiger und Fotografen) auf das Weißmies (eth. das weiße Moos), einen 4.027 Meter hohen Berg im Schweizer Wallis. Hier soll man von Süden her in leichter Kletterei der Schwierigkeit II (UIAA) über einen Blockgrat zum Gipfel kommen. Ein 4000er, bei dem man weder Gletscherausrüstung noch spezielle Kletterausrüstung braucht? Unser Interesse ist geweckt – wäre doch super, mal so leicht bepackt in schöner Kraxelei auf einen 4000er steigen zu können.
Anreise mit Übernachtung am Furkapass
Wenn Du eine solche Bergtour in zwei Tagen durchführen willst, solltest Du schon etwas vorakklimatisiert sein, sonst wirst Du im oberen Teil mindestens mit Kopfschmerzen zu kämpfen haben. Entscheidend ist, auf welcher Höhe Du während der letzten zwei Wochen warst. Zum Glück haben Jonas und ich bereits in der Woche zuvor Touren auf über 3.000 bzw. über 2.500 Metern gemacht. Zusätzlich übernachten wir auf der Fahrt ins Wallis noch am Parkplatz des Furkapasses auf über 2.400 m, was uns auch noch etwas bei der Akklimatisierung hilft. Am nächsten Morgen legen wir die restliche Strecke ins Saastal zurück und starten am Erlebnisweg Saas-Almagell etwas oberhalb des gleichnamigen Dorfes.
Aufstieg zur Almagellerhütte
Nächtliche Kletterei über einen Blockgrat zum Gipfel
Am nächsten Morgen klingelt schon um 2:15 Uhr der Wecker. Nachdem wir etwas gefrühstückt haben, starten wir um 3 Uhr in die dunkle Nacht. Der Weg hinauf zum Zwischbergenpass ist gut markiert und auch nachts leicht zu finden, hier und da vergewissern wir uns mit Offline-Karten. Am Zwischbergenpass angekommen, schwenken wir nach links auf den Südgrat zu. Hier verläuft die Route nach Standardbeschreibung rechts vom Grat über steile Schneefelder, bis man an verschiedenen Stellen nach links auf den Südgrat wechseln kann.
Thomas Herdieckerhoff
Thomas Herdieckerhoff
Wir fühlen uns aber im leichten Blockgelände wohl und bleiben von Anfang an auf dem Grat, auf dem man zwei Felstürme am besten links umgeht. Die Schneefelder sind zu dieser Stunde noch hart gefroren, was den Aufstieg dort nachts unangenehmer macht als vormittags. Etwas später wird der Grat gemächlich steiler und man folgt ihm meist relativ genau.
Thomas Herdieckerhoff
Die Felsböcke sind fest und bieten gute Griffe und Tritte, sodass man mit ein bisschen Routengespür nie den 2. Schwierigkeitsgrad (UIAA) übersteigen muss. Eine sehr schöne Kraxelei, auch wenn es inzwischen begonnen hat, leicht zu schneien und wir in einer dichten Nebelsuppe stecken. Wir kommen aber trotzdem gut voran und nähern uns stetig dem Vorgipfel, während es um uns langsam zu dämmern beginnt. Als wir oben aus dem Südgrat aussteigen, stehen wir vor einer eisigen Kuppe. Wir blicken zurück und in diesem Moment eröffnet sich das erste Mal ein Sichtfenster auf den beeindruckenden Portjengrat. Nun kann man je nach Verhältnissen und eigenem Empfinden Steigeisen anlegen. Wir haben sie im Rucksack dabei, fühlen uns aber dank einer gut ausgetretenen Trittspur auch ohne Steigeisen sicher. Nach der Kuppe folgen wir einem knapp einen Meter breiten Firngrat, auf dem uns das erste Mal starke Windböen von der Seite treffen. Danach geht es nochmal in leichtem Felsgelände nach oben auf den vermeintlichen Gipfel. Inzwischen sind wir wieder von dichtem, schnell ziehendem Nebel verschluckt worden. Vor uns liegt ein weiterer schmaler Firngrat, dessen Ende wir nur erahnen können. Gespannt folgen wir diesem in der Erwartung, gleich den Gipfel zu erreichen. Zwei Minuten später stehen wir tatsächlich am höchsten Punkt – wir haben es geschafft und stehen nach genau 3,5 Stunden Aufstieg alleine am Gipfel des Weißmies. Die Wolken ziehen mit irrer Geschwindigkeit über den Gipfel. Nur hin und wieder erhaschen wir kurze Ausblicke auf die Bergwelt der Walliser Alpen im Morgenlicht.
Thomas Herdieckerhoff
Abstieg zurück ins Saas Tal
Nach einer halben Stunde beginnen wir den Abstieg. Schon nach ein paar Metern Abstieg bessert sich die Sicht erheblich und wir haben ein wunderbares Bergpanorama vor uns. Etwas später kommen uns beim Ausstieg aus dem Südgrat die ersten Aufsteiger entgegen.
Fazit
Die Weißmies Besteigung über den Südgrat bietet sehr schöne Blockkletterei, die sich für den geübten Bergsteiger ohne Sicherung bewältigen lässt. Der Weißmies Gipfel ist einer von wenigen 4000ern, der weder Gletscher- noch Kletterausrüstung erfordert und daher mit relativ leichtem Gepäck bestiegen werden kann. Uns hat besonders die Kraxelei am soliden Fels entlang des Grates und die großartige Aussicht auf die Walliser Alpenkulisse mit zahlreichen 4000ern sowie auf den eindrucksvollen Portjengrat gefallen. Für jeden Bergsteiger mit guter Grundfitness, moderaten Kletterfähigkeiten und leichter Vorakklimatisierung kann ich die Tour absolut empfehlen!
Thomas Herdieckerhoff
Tourdaten
- Schwierigkeit: II (UIAA)
- Ausrüstung: Normale Bergtourenausrüstung, Helm und je nach Bedingungen und eigenem Befinden Steigeisen und Pickel
- Ausgangspunkt: Saas Almagell
- Anfahrt: Von Deutschland aus über Bregenz – Vaduz – Chur – Furka Pass – Visp
- Parken: Man spart sich etwa 250hm wenn man am Anfang des Erlebniswegs Saas Almagell parkt (wie wir), dort gibt es aber nur sehr wenige Stellplätze (mind. 5 Franken in bar bereithalten). Sonst muss man das Auto unten im Ort abstellen.
- Etappe 1: Saas Almagell – Almagellerhütte (Aufstieg: 1.230 hm) oder Parkplatz Erlebnisweg – Almagellerhütte (Aufstieg: 970 hm)
- Etappe 2: Almagellerhütte – Gipfel (Aufstieg: 1.200 hm) – Parkplatz Erlebnisweg (Abstieg: 2.170 m)