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Eine große Nummer im Allgäu

Trettachspitze Ostwand: Die vergessene Wand

7 Minuten Lesezeit
Die Lobenhoffer Route an der Trettachspitze galt lange als eine der schwierigsten Klettereien der Allgäuer Alpen. Walter Hölzler und sein Team haben sich an die steile, unzugängliche Ostwand gewagt und eine neue Route gebohrt - den Orientexpress.

Die 2.595 Meter hohe Trettachspitze gehört zweifelsohne zu den berühmtesten Bergen der Allgäuer Alpen. Von Osten gesehen bricht das schmale Felshorn mit einer mehr als 350 Meter hohen, fast durchgehend senkrechten Steilwand in das Trettachtal ab. Die Form des Berges verlieh ihm den Nimbus des „Allgäuer Matterhorns“. Gerade aus diesem Grund ist es ein „Muss“ für jeden Allgäuer Bergsteiger und Kletterer, den herrlichen Gipfel einmal erklettert zu haben.

Ersteigungsgeschichte der Trettachspitze

Am Einstieg der Erstbegehung "Orientexpress" an der Trettachspitze. Die Stimmung kennen andere, frühere Generationen nur allzu gut. Der Berg hat seinen Namen unter Bergsteigern und Kletterern im Allgäu nicht umsonst. | Foto: Walter Hölzler
Am Einstieg der Erstbegehung „Orientexpress“ an der Trettachspitze. Die Stimmung kennen andere, frühere Generationen nur allzu gut. Der Berg hat seinen Namen unter Bergsteigern und Kletterern im Allgäu nicht umsonst. | Foto: Walter Hölzler

„Wenn eine Spitze unbesteigbar ist, so muss es diese sein!“, schreibt der bekannte Bergpionier Hermann von Barth in seinem 1869 erschienenen Buch „Allgäuer Wegweiser“. Damit meinte er den berühmtesten und kühnsten Felsenzahn der Allgäuer Alpen, die Trettachspitze, die schon von 30 Kilometer Entfernung durch das Illertal sichtbar ist. So vollzog sich nach der Überlieferung im August 1855 die erste Begehung der Trettachspitze auf dem schwierigsten Normalweg des Allgäuer Hauptkamms (*):

„Es geschah an einem Sommertag 1855: Bei der täglichen Arbeit als Hirten auf dem Oberen Einödsberg entdeckten Urban und Alois Jochum mehrere Gämsen auf dem Nordostgrat der Trettachspitze. Der „Unnahbare Spitz“, wie er im Tal genannt wurde, muss also ersteigbar sein, denn wo sich Gämsen bewegen, findet auch der Mensch einen Halt. Es ist schließlich Urban, der sich auf den Weg macht und westlich unter dem Spätengundkopf hindurch, über das steinige Nordkar und über das Firnfeld hinauf, an den Fuß der Nordwand steigt. Er überwindet den plattigen Fels Stück für Stück, weiter über steiles Geröll und einen Schneefleck, bis er schließlich auf dem schmalen Nordostgrat steht und in die furchteinflößenden Abgründe der ‚Wilden Gräben‘ hinunterschaut. Die Position der Gämsen im Gedächtnis, steigt er immer weiter die ausgesetzte Himmelsleiter empor bis unter den Überhang, mit dem der Gipfel auf den Nordostgrat absetzt. Er entdeckt hier ein schmales Felsband, das zunächst in die Nordwand hineinführt und drüben gegen den Nordwestgrat ansteigend herauszuführen scheint. Doch allein ist ihm dieser schwindelnde Weg über der düsteren Nordwand zu gefährlich und er beschließt, mit seinen Brüdern als Verstärkung zurückzukehren. Er ist nun im Besitz des Gipfelgeheimnisses und er weiß die Tür zur Spitze zu öffnen. Vorsichtig klettert er den Grat wieder hinunter.

Bereits am nächsten Tag kehren die zwei Brüder hinein in das Trettach Nordkar und machen sich an die Besteigung der „Spitz“ auf dem zuvor von Urban ausgespähten Weg. Im letzten Abschnitt steigt das Band an, wird breiter und verläuft in steilen Rinnen bis zum Gipfel. Die zwei hatten dem damals 26-Jährigen Baptist Schraudolph den „Spitz“ weggeschnappt. Dieser revanchiert sich, indem er ein Gipfelkreuz zimmert und dieses zunächst 1.200 Höhenmeter zum Felseinstieg der Trettach schleppt und im Anschluss in einer weiteren Energieleistung, weithin sichtbar für die Einödsbacher und Birgsauer, auf den Gipfel bugsiert. Im Herbst 1855 führt er seine Frau Viktoria, geb. Jochum, die Schwester der Erstersteiger, auf der Hochzeitsreise auf die Trettachspitze.“

(*) Buchauszug: „Aus den Nördlichen Kalkalpen“ von Hermann von Barth (1874) bzw. teilweise abgeändert nach dem Werk „Gesammelte Schriften“ von Bünsch/Rohrer (1926) im Rahmen einer gemeinfreien Nutzung nach dem Urheberrecht.

Mehr Kletterlinien auf die Trettachspitze folgen

Inmitten in der Ostwand der Trettachspitze. So vielseitig und interessant wie eben der "Orientexpress"lässt es sich nach oben klettern. Aber Achtung, das ist kein Sonntagsausflug. Ohne Respekt und Gefühl für den Berg kann hier einiges schief gehen. | Foto: Walter Hölzler
Inmitten in der Ostwand der Trettachspitze. So vielseitig und interessant wie eben der „Orientexpress“ lässt es sich nach oben klettern. Aber Achtung, das ist kein Sonntagsausflug. Ohne Respekt und Gefühl für den Berg kann hier einiges schief gehen. | Foto: Walter Hölzler

In den Jahrzehnten darauf wurden mehrere Kletterlinien an allen Seiten des Berges eröffnet. Dennoch beschränkt sich der Ansturm der Gipfelaspiranten meist auf die verhältnismäßig leichten Routen über den „Nordwestgrat“ (III-) sowie über den „Nordostgrat“ (III). Der lange Zustieg in Verbindung mit dem oft unzuverlässigen Gestein dürften Gründe dafür sein.

Die Trettachspitze Ostwand: Lobenhoffer Route

Die unzugänglichste und zugleich höchste Steilwand der Trettachspitze stellt die Ostwand dar, genauer die Lobenhoffer Route. Auch sie wurde im Eroberungsalpinismus der 1930er Jahre zum herausfordernden Projekt für wagemutige Kletterer aus ganz Deutschland. Selbst Anderl Heckmair, der spätere Erstbegeher der Eiger Nordwand wurde hier aktiv. Mehrere Versuche waren dennoch nötig bis der Berchtesgadener Franz Lobenhoffer mit seinem Seilpartner Xaver Dusch im Jahre 1934 eine Durchstiegsmöglichkeit im zentralen und zugleich steilsten Wandteil fand.

Beide konnten sich zuvor eingehend mit der Route und den Bedingungen der Trettachspitze beschäftigen, weil sie als Skilehrer und Bergführer auf der Ordensburg in Sonthofen eingesetzt waren. Zur Absicherung der 15 Seillängen, verteilt auf 400 Meter Kletterstrecke, hatten die kühnen Alpinisten nur 16 Haken zur Verfügung. Dies in mehrfach brüchigem Gelände mit Passagen des damals höchsten Schwierigkeitsgrades. Ein wahrhaft waghalsiges Unternehmen, wenn man sich vorstellt, dass die Chance eines Notrufs in diesem abgeschiedenen Winkel gegen Null tendierte. Nicht umsonst galt die „Lobenhoffer Route“ lange Zeit zu den schwierigsten und längsten Kletterunternehmungen der Allgäuer Alpen. Sie war nicht nur schwierig, sondern auf Grund des brüchigen Gesteins und der schlechten Absicherung absolut gefährlich. Die Folgen daraus sind Berichte über teils schwere Unfälle. Ein unübersehbares Mahnmal stellt die Gedenktafel eines tödlich abgestürzten Kletterers am Einstieg dar.

Trettachspitze Ostwand: Orientexpress – eine Erstbegehung mit alpinem Charakter

Postkarte? Wohl eher nicht, sondern die verdiente Belohnung nach getaner Kletterei. Die Trettachspitze im Allgäu wartet nicht nur mit der neuen Erstbegehung auf, sondern mit einem himmlischen Abstieg. | Foto: Walter Hölzler
Postkarte? Wohl eher nicht, sondern die verdiente Belohnung nach getaner Kletterei. Die Trettachspitze im Allgäu wartet nicht nur mit der neuen Erstbegehung auf, sondern mit einem himmlischen Abstieg. | Foto: Walter Hölzler

Mit Klaus Noichl (Oberstdorf) und Martin Hehle (Kempten) machte ich mich im Sommer 2014 mehrfach auf den beschwerlichen Weg, um in dieser bisher so unbekannten Wand eine großteils eigenständige Kletterlinie zu legen. Sie sollte den Nimbus von Abenteuer aufrecht erhalten, aber nicht mehr die Abschreckung des extrem Gefährlichen verbreiten. Denn kein Berg ist es wert, um sich durch Griff- oder Hakenausbruch tödlich zu verletzen, so meine Meinung. Teils von unten, teils von oben erkundeten wir die große Wandflucht, um eine direkte, vor allem aber vor Steinschlag geschützte Kletterroute zu kreieren. Das war sehr aufwändig, da der Zustieg lang und beschwerlich ist. Mehrfach mussten wir stundenlang aufsteigen, um sehr große und labile Gesteinsbrocken aus der Routenlinie zu entfernen. Zur Absicherung setzten wir an schwierigen Stellen und Standplätzen Edelstahl-Bohrhaken ein. Denn nur solch moderne Sicherungsmittel können in unzuverlässigem Gestein lebensgefährliche Verletzungen bei einem Sturz verhindern.

Dennoch sind die Abstände der Fixpunkte oft sehr weit, so dass sich der Kletterweg auf keinen Fall mit einer Sportkletterroute vergleichen lässt. Nur Alpinisten mit einem Spürsinn für die Gesteinsqualität in Verbindung mit einem soliden Kletterniveau um den VII. Schwierigkeitsgrad sollten hier einsteigen. Nach der Fertigstellung und Erstbegehung dieser anspruchsvollen und modernen Freiklettertour gaben wir ihr den Namen „Orientexpress“. Denn ähnlich wie die legendäre Zugstrecke von Paris bis ins damals sagenumwobene Konstantinopel führt unsere Kletterreise auf abenteuerlichen Pfaden zur höchsten Steilwand des berühmtesten Felsgipfels der Allgäuer Alpen.

Mehr Details und Informationen zur Trettachspitze und dem Ostwand Orientexpress

  • Kletterlänge: 440 Meter – 12 SL
  • Schwierigkeitsgrad: 6+ A1 bzw. 8-
  • Kletterführer: Allgäu und Ammergau, Kletterführer alpin
  • Ausrüstung: Packliste Alpinklettern

Weitere aktuelle Infos zur Route kann man auf der Seite von Walter Hölzler erfahren.

ACHTUNG: Auch die Besteigung der Trettachspitze auf dem Normalweg (Nordwestgrat) ist nur erfahrenen Bergsteigern zu empfehlen. Absolute Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, Gebietskenntnis, sowie Kletterkönnen mit der dazu gehörenden Ausrüstung sind Voraussetzung! Wanderern ist dieser Gipfel dringlichst abzuraten.

Mehr Gipfel und Kletterthemen im Bergzeit Magazin:

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