Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass er immer nach Höherem strebt, sei es im Beruf, in der Technik oder in den Bergen. Daher wagen sich immer mehr Bergsteiger in hochalpine Lagen vor, um über Gletscher, Schnee und Eis noch höhere Gipfel zu bezwingen.
Basti Fiedler
Eine sehr bekannte und beliebte und in jedem Fall auch empfehlenswerte Hochtour führt auf die Wildspitze im Ötztal. Mit 3.768 Metern zählt der Berg zu den ganz großen in den östlichen Zentralalpen und wird als zweithöchster Gipfel Österreichs rege besucht. Auch ich habe die Wildspitze bestiegen und möchte Euch diese Tour vorstellen.
Wir haben dabei den Normalweg von Vent über die Breslauer Hütte sowie das Mitterkarjoch als Aufstiegsvariante gewählt und sind über den Nordgipfel und den sogenannten Jubiläumsgrat und den Rofenkarferner wieder abgestiegen.
Von Vent im Ötztal auf die Wildspitze
Ausgangspunkt dieser Hochtour auf die Wildspitze ist Vent im Ötztal. Bei einer Anreise aus dem Norden (Fernpass oder Arlberg) biegt man vom Inntal aus in Richtung Sölden ab und folgt dem Ötztal bis zum Abzweig nach Vent, das sich ein gutes Stück hinter Sölden befindet. Parken kann man in Vent am besten bei der Seilbahn (Kosten: sechs Euro pro Tag; Stand 2024). Die Talstation zur Stableinalm („Wildspitz-Sesselbahn”) ist gleichzeitig Startpunkt der Tour.
Zustieg zur Breslauer Hütte
Basti Fiedler
Der Weg, der direkt unter der Seilbahn beginnt, verläuft mal links, mal rechts parallel zur Bahn in wechselnder Steigung nach oben. Nach rund ein bis eineinhalb Stunden Gehzeit endet die Seilbahn und der Pfad führt weiter in Richtung Breslauer Hütte. Zuerst flach und gemütlich und am Ende steil gelangt man nach weiteren ein bis eineinhalb Stunden zur schönen und gut renovierten Hütte.
- Tipp: Je nach Saison, Wochentag und Wetter ist eine Reservierung zu empfehlen. Dem Hüttenwirt zufolge machen sich an guten Tagen fast die kompletten zweihundert Gäste, die in der Hütte Platz finden, auf den Weg zur Wildspitze.
Auf den zweithöchsten Berg Österreichs
Nach einer mehr oder weniger geruhsamen Nacht gibt es das erste Frühstück ab fünf Uhr dreißig – und die Hütte erwacht schnell zum Leben. Unruhe macht sich breit – schließlich wollen alle zügig loskommen. Wir haben Glück, denn wir sind unter der Woche da und es ist sehr viel ruhiger als an den Wochenenden.
Basti Fiedler
Arnold Zimprich
Von der Hütte ist der Weg zur Wildspitze gut ausgeschildert. Entlang deutlicher Markierungen geht es – zunächst langsam ansteigend – in das Mitterkar. Am Ende eines kleinen Hochtals biegt der Weg schließlich nach rechts ab – immer den Spuren und Markierungen folgend steigt man dem Mitterkarferner entgegen, von dem nur noch klägliche Reste übrig sind.
Für die letzten Meter bis zum Joch gilt es, eine Entscheidung zu treffen: Entweder man geht gerade durch die vereiste und teilweise steinige Rinne mit relativ großem Steinschlagrisiko hindurch oder man quert die Rinne nach links und steigt in den gut sichtbaren Klettersteig ein – bei mäßigem Verkehrsaufkommen sicher die empfehlenswertere Variante.
Steilanstieg zum Mitterkarjoch
Wir entscheiden uns für den kurzen Klettersteig, der nicht besonders schwierig ist (Schwierigkeitsgrad B bis C). Wenn jedoch Neuschnee liegt – wie in unserem Fall Anfang September – wird die Kletterei etwas anspruchsvoller. Klettersteigset und Helm sind hier durchaus angebracht. Oben angekommen, erstreckt sich der Taschachferner direkt vor einem. Man genießt einen ersten richtig schönen Weitblick in die Ötztaler und Pitztaler Alpen!
Arnold Zimprich
Basti Fiedler
Spätestens hier heißt es nun auch Eispickel und Steigeisen anlegen, in die Seilschaft einbinden und los geht’s. Da das Mitterkarjoch bereits auf rund 3.470 Metern liegt, ist an dieser Stelle ein Großteil der Höhenmeter bereits bewältigt. Der Weiterweg auf dem Gletscher steigt zunächst gemächlich an. Der Taschachferner ist relativ spaltenarm, man sollte jedoch stets achtsam bleiben und sich auf jeden Fall anseilen!
Nach einer steileren Rampe sieht man nun die Wildspitze das erste Mal in ihrer vollen Pracht vor sich. Man hält sich leicht nach Westen, von wo es wieder deutlich steiler und etwas ausgesetzter über den Südwestgrat Richtung Gipfelkreuz geht. Je nach Wetterlage erreicht man über Fels und Schutt oder, wie bei uns, über Fels und Schnee den nach dem Großglockner zweithöchsten Gipfel Österreichs.
Nach insgesamt rund dreieinhalb Stunden hat man dann den Südgipfel der Wildspitze erreicht. Dies ist gleichzeitig auch der Hauptgipfel mit Gipfelkreuz. Bei einer Pause kann man das unbeschreibliche Panorama auf die Ötzaler Gletscherriesen und viele weitere Berge in den Kalkalpen, im Stubai, in der Ortlergruppe u.v.m. genießen!
Überschreitung der Wildspitze und Abstieg
Uns treiben der kalte Wind und die eisigen Temperaturen jedoch rasch weiter. Für den Abstieg vom Südgipfel wählen wir eine andere Route und steigen über einen recht luftigen Grat zum Nordgipfel. Dank des Schnees vom Vortag ist der Grat sehr gut zu überqueren.
Arnold Zimprich
Basti Fiedler
Unter dem Nordgipfel erstreckt sich der Rofenkarferner und man sieht bereits die Spuren anderer Seilschaften. Zuerst kurz Richtung Norden absteigend, „umrundet” man die Wildspitze über den meist überfirnten Jubiläumsgrat in einem Bogen nach Osten und hat nochmals einen schönen Blick auf den Süd- und Nordgipfel. Bei guten Verhältnissen ist der Grat nie schwierig und vermittelt über mehere Kuppen den idealen Zugang zum Gletscher.
Der aufgrund des Klimawandels stark zurückweichende Rofenkarferner bildet an seiner Kante einen steilen Abbruch, weshalb es besser ist, sich am Gletscherende westlich Richtung Urkundkolm zu halten und dort über Pfadspuren entlang von Steinmännern abzusteigen.
Am Rofenkarferner ist Vorsicht geboten, da er deutlich spaltenreicher ist als die vorangegangenen Gletscher. Nach der recht steilen Kuppe steigt man auf den Seitenmoränen bis zur Schuttzunge am südlichen Ende ab. Am Gletscherende angekommen, können die Steigeisen wieder verstaut werden und man orientiert sich an den Steinmännern in der felsigen Gletschermoräne. Insgesamt braucht man für den Abstieg auf dieser Route etwa dreieinhalb Stunden, bevor man wieder an der Breslauer Hütte ankommt.
Dort hat man sich eine letzte gemütliche Pause verdient, bevor es an den kompletten Abstieg geht: Man folgt einfach der Aufstiegsroute vom Vortag.
Fazit zur Hochtour auf die Wildspitze
Obwohl sich unsere Besteigung der Wildspitze im September bei kalten Temperaturen, eisigem Wind und Neuschnee vom Vortag wie eine Winterbegehung angefühlt hat, ist die Tour sehr lohnenswert. Sie ist für die erreichte Höhe nicht allzu lang und für eine Hochtour auch nicht allzu schwierig. Dennoch sind hochalpine Erfahrung, die richtige Ausrüstung sowie passendes Wetter Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Besteigung.
Hinweis: Aufgrund des Gletscherrückgangs und der damit verbundenen Veränderungen an den Gletscherrand- und Spaltenzonen bietet das Bergzeit Magazin keine GPS-Tracks mehr für Bergtouren an, die Gletscherbegehungen beinhalten. Wir bitten dafür um Verständnis.
Alle Tourdaten zur Hochtour auf die Wildspitze
- Ausgangspunkt: Vent im Ötztal
- Anforderungen/Charakter der Tour: wenig schwierige Hochtour (PD), Klettern bis maximal II, Gletscherhänge kurzzeitig (Mitterkarjoch) bis 45 Grad, aufgrund des Gletschers mit Spaltenzonen und dem hochalpinen Gelände aber keinesfalls zu unterschätzen; entsprechende alpine Erfahrung und Hochtourenerfahrung sowie Equipment zwingend notwendig
- Zeitangaben & Höhenmeter:
Vent – Breslauer Hütte: etwa zwei bis drei Stunden Gehzeit (rund 1.000 Höhenmeter)
Breslauer Hütte – Wildspitze (über Mitterkarjoch): etwa drei bis vier Stunden Gehzeit (ebenfalls rund 1.000 Höhenmeter, mit kurzem Klettersteig und Gletscher)
Wildspitze – Breslauer Hütte (über Rofenkarferner): etwa drei bis vier Stunden Gehzeit - Übernachtung / Einkehr: Breslauer Hütte
- Karte: AV-Karte 30/6 Ötztaler Alpen, Wildspitze; Kompass Verlag Örtztal, Pitztal 5630; Rother Ötztal Wanderführer
- Ausrüstung: Ausrüstung Hochtour
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